Klimakrise: Vorwärts schauen statt blockiert sein
Umgang mit weltweiten Krisen ist eine gigantische Thematik. Die angesagte Rednerin und Inhaberin eines Ehrendoktortitels Katharine Hayhoe (51) wurde von der deutschen «wochentaz» interviewt, was als Grundlage dieses Textes diente.
Ein Bild der Wunschwelt zeichnen
Was man der Idee entgegensetzen könne, dass Klimaschutz mit Verbot und Verlust zu tun haben müsse, beschrieb die Botschafterin der World Evangelical Alliance so: «Wir müssen uns viel aktiver vorstellen, wie gut eine Welt wäre, in der wir aktiv etwas gegen die Klimakrise unternehmen. Eine Welt, in der Luftverschmutzung nicht jedes Jahr Millionen von Menschen tötet. In der alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben. In der sie keine Angst vor Naturkatastrophen haben müssen. Deshalb brauchen wir in der Klimabewegung nicht nur Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten, sondern auch Künstler und Kreative. Wir müssen verstehen, dass der Klimawandel zwischen uns und dieser besseren Welt steht.»
Abwehrhaltung konservativer Christen
Beim Interview kam zur Sprache, dass die Kanadierin Katharine Hayhoe im konservativen Texas lebt, wo sie als evangelikale Christin selber zu einer der Gruppen in den USA gehört, die am häufigsten den menschengemachten Klimawandel leugnet. «Als ich Mitte zwanzig war, bin ich in die USA gezogen und bin dort zum ersten Mal Menschen begegnet, die sich Christen nennen und nicht an den menschengemachten Klimawandel glauben. Für mich war das merkwürdig. In Kanada galt immer: Das Gras ist grün, der Himmel ist blau und die Menschen heizen den Planeten auf. Mich hat dieser Unterschied neugierig gemacht. Ich habe angefangen, Fragen zu stellen. Da kamen viele wissenschaftlich oder religiös klingende Einwände. Es sei doch natürlich, dass sich die Erde durch die Sonne erwärme. Oder Gott sei letztendlich für alles verantwortlich und die Welt werde sowieso enden, also sei es egal, was wir Menschen machen. Dabei heisst es in Genesis, dem ersten Buch des Alten Testaments, dass wir Menschen die Verantwortung für jedes Lebewesen auf dieser Erde tragen.»
Auf die Frage, weshalb gerade evangelikale Christen dem Klimawandel gegenüber so skeptisch eingestellt seien, erklärte die Ehefrau eines Pastors, dass das Wort evangelikal in den USA mittlerweile zum Synonym für politisch konservativ, republikanisch geworden sei. Eigentlich bedeute evangelikal aber, den eigenen Glauben auf die Bibel zu stützen.
Das Verrückte sei: Ganze 40 Prozent derjenigen, die sich selbst evangelikale Christen nennten, gingen nur einmal im Jahr oder gar nicht in die Kirche. Sie bekämen ihre Informationen vor allem aus konservativen Medien wie Fox News, die stark polarisierten. Studien zeigten immer wieder, dass die Sicht von Menschen auf den Klimawandel viel stärker von Ideologie und politischer Orientierung bestimmt werde als von Bildung oder Wissen.
Problem: nicht Skeptiker, sondern passive Besorgte
Wahrnehmung und Verhalten in der Gesellschaft erklärt sie so: «In der Klimakrise lähmt und paralysiert uns Angst mehr, als dass sie uns aktiviert. (…) In Wahrheit macht sich aber ein riesiger Teil der Bevölkerung Sorgen wegen des Klimawandels. In Deutschland waren es 2021 laut einer Studie von More in Common 80 Prozent der Bevölkerung. In den USA sind es rund 70 Prozent. (…) Unser Problem ist nicht der kleine Teil der Bevölkerung, der den Klimawandel leugnet, sondern der grosse Teil der Bevölkerung, der sich Sorgen macht, aber noch nicht aktiv handelt.»
Smarte Lösungen lösen Blockaden
Doch wie kommt man von der Blockade weg zur Handlung? «Als erstes müssen wir unseren Kopf mit unserem Herzen verbinden. In unserem Kopf sind all die Fakten, das Wissen. Aber oft ist das Wissen isoliert von dem, was uns wirklich wichtig ist. Wir müssen die Fakten mit den Orten und Menschen verbinden, die uns wichtig sind.» Und dann müsse man das Herz mit den Händen verbinden. «Wir müssen zeigen, was man tun kann. Und das ist oft viel mehr, als wir denken – smarte Lösungen.»
So erzählt Katharine Hayhoe, weshalb sie beispielsweise die Gruppe «Science Mums» (Wissenschafts-Mütter) gründete: «Mütter machen sich natürlicherweise Sorgen um ihre Kinder. So haben wir gemeinsam mit einer Non-Profit-Marketingfirma eine Kampagne gestartet, die Eltern bei der Sorge um die Zukunft ihrer Kinder abholt und ihnen Wege zeigt, sich zu engagieren.»
Teil des Gesamten sein
Schlussendlich sei das Überzeugende, zu zeigen, dass man Teil der Lösung sein kann. Dass man ein Held sein kann anstatt nur ein Bösewicht. Man müsse Menschen dabei helfen, sich als Teil einer besseren Zukunft zu sehen.
«Wenn ich gefragt werde, was wir brauchen, individuelle Veränderungen oder systemischen Wandel, dann sage ich: Ja. Systeme bestehen aus Menschen. Und individuelle Veränderung ist ansteckend. Solarpaneele sind das beste Beispiele. Wenn eine Person in einem Viertel Solarpaneele installiert, machen die Nachbarn das oft nach», ergänzt Katharine Hayhoe mit ihrem gewinnenden Lächeln.
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