«Ich bin ein Gast auf Erden»
Es gibt Lieder, die ich mal gehört oder mitgesungen habe, und es gibt solche, die mich begleiten, teilweise seit Jahren. So wie Sarah Kaisers Interpretation von Paul Gerhardts Klassiker «Ich bin ein Gast auf Erden».
Es ist Jahre her, dass ich die CD von Sarah Kaiser in die Hand bekam: «Gast auf Erden – Paul Gerhardt neu entdeckt». Ich habe reingehört und war fasziniert. Mit ihrer souligen Stimme interpretiert die studierte Jazzsängerin altbekannte Kirchenlieder neu. Gleichzeitig bleiben es die Lieder Paul Gerhardts, die in schweren Zeiten vor 400 Jahren entstanden sind, und seitdem unzählige Menschen getröstet und in Gottes Gegenwart gebracht haben. Eigentlich habe ich kein Lieblingslied auf dieser CD. Wenn ich sie einlege oder streame, höre ich meist alle Stücke. Mal trifft mich das eine mehr und mal das andere. So wie gerade «Ich bin ein Gast auf Erden»
Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand;
der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland.
Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh
ist Gottes Gnadengabe, die schliesst all Arbeit zu.
Sehnsucht nach dem Zuhause
Wow, das ist erst einmal alte Sprache. Uralt. Barock. Dazu kann man sich gut eine grosse Kirche und ein mächtiges Orgelspiel vorstellen. Die Sehnsucht nach dem Himmel, nach ewiger Ruhe, ist ein Motiv, das in Gottesdiensten seit jeher gepredigt und gesungen wird. Paul Gerhardts Original hat immerhin zwölf Strophen und er malt darin in aller Ausführlichkeit ein düsteres Bild seiner damaligen Gegenwart. Kein Wunder, dass er sich auf die Ewigkeit freute.
Doch wie sieht es heute aus? Alte Sicherheiten zerbrechen, Gesundheit ist immer noch ein Geschenk oder ist sie nicht viel eher eine Leihgabe auf Zeit? Die Sehnsucht nach einem echten Zuhause wächst auch ausserhalb von Kirchen und Gemeinden. Und plötzlich klingt dieser alte Text gar nicht mehr so alt. Er hat etwas mit mir zu tun.
Mit Paul Gerhardt im Jazzclub
Groovende Klänge, Sarah Kaisers tragende und klare Stimme und die jazzige Begleitung dringen mir direkt ins Herz. Als ich zum ersten Male hörte, dass die Musikerin mit ihrem Paul-Gerhardt-Programm nicht nur in Kirchen und christlichen Konzerten auftrat, sondern genauso in Jazzclubs, dachte ich nur: Genial. So muss Lobpreis sein.
Vielleicht hilft ihre Biografie Sarah Kaiser dabei, so zwischen den Welten unterwegs zu sein. Die Berlinerin ist Tochter einer Sängerin und eines Theologen, sagt aber von sich selbst, dass sie beides – das Singen und den Glauben – erst über Umwege für sich selbst entdeckt hat. Vielleicht sind es diese Umwege, die ich noch heraushöre, und die mich einladen, ein Gast auf Erden auf dem Weg nach Hause zu sein. Vielleicht ist es auch die Vorstellung von Paul Gerhardt, der irgendwo in einem Jazzclub sitzt, seine Lieder auf diese Art hört und zustimmend meint: «Nicht schlecht. Gar nicht schlecht.»
Ich wandre meine Strasse, die zu der Heimat führt, da mich ohn alle Maße mein Vater trösten wird.
Sehen Sie sich hier das Lied «Ich bin ein Gast auf Erden» an: