Schneekönigin auf dem Eis

Die Hummel kann rein theoretisch nur durch ein Wunder fliegen.
Nach den Gesetzen der klassischen Aerodynamik ist das Fliegen für die Lappland-Hummel eigentlich unmöglich - und sie fliegt doch!

Nach einer neunmonatigen Eiszeit erwacht die Lappland-Hummel aus ihrem Winterschlaf. Sie hat zehn Zentimeter unter der Erde den arktischen Frost überlebt, weil der Hämolymphe (dem Blut bei Insekten) Glycerin als Frostschutzmittel beigemischt ist, was das Gefrieren bis zu Temperaturen von -19 °C verhindert. Ist der Winter vorbei, heizt sich die Hummel durch Vibration selbst auf. In nur wenigen Minuten erhöht sich ihre Körpertemperatur auf über 30 °C und es kann losgehen. Vor zu grossem Wärmeverlust bewahrt sie dann ihr ungewöhnlich dicker Pelz.

Das aerodynamische Gesetz überflügelt

Aber kann die Hummel überhaupt fliegen? Bei einer Flügelfläche von 0,7 cm² und einem Gewicht von 1,2 Gramm ist das nach den Gesetzen der klassischen Aerodynamik eigentlich unmöglich. Da die Hummel aber die Gesetze der Aerodynamik nicht kennt, fliegt sie trotzdem. Denn ihre Flügel sind keine starren Tragflächen wie bei einem Flugzeug, sondern sie bestehen aus dem äusserst elastischen Protein Resilin, das sich auf die dreifache Länge dehnen lässt, ohne dabei zu reissen. Die Hummel kann ihre Flügel bis zu 200 Mal pro Sekunde kreisförmig bewegen und dabei auch verbiegen, sodass ein Vorderkantenwirbel entsteht. Das gelingt ihr, indem sie ihre beiden Flügel schräg von hinten nach vorne bewegt. Zurück werden sie dann gedreht. Auf diese Weise entsteht ein starker Auftrieb, der sie fliegen lässt. Eine Geschwindigkeit von 20 km/h ist dabei kein Problem für sie. Ausserdem verfügen ihre Flügel über ein spezielles Gelenk, welches sie abknicken kann. Dadurch ist die Hummel in der Lage, problemlos das Doppelte ihres Körpergewichts durch die Luft zu bewegen.

Für die Lappland-Hummel, die als Einzige eines ganzen Volkes überlebt hat, geht es nach dem langen Winter erst einmal darum, Energie zu tanken. Der Energieverbrauch beim Fliegen ist mit durchschnittlich 1,2 kJ pro Stunde extrem hoch. So muss die Hummel ständig Nahrung aufnehmen. Für die Gründung der neuen Kolonie sammelt die Lappland-Hummel Nektar und Pollen von den ersten Frühlingsblüten der Arktis und legt dabei täglich Strecken bis zu fünf Kilometer zurück. Um Blüten erkennen zu können, drosselt sie ihre Geschwindigkeit. Dabei leisten Hummelaugen und Hummelhirn Erstaunliches: Zwei neuronale Kanäle erkennen getrennt die Blütengrösse und -farbe. Der erste meldet dem Gehirn bereits nach fünf Tausendstel Sekunden die Entdeckung einer Blüte. Der zweite Kanal ermöglicht der Hummel das Farbensehen.

Manchmal kann man beobachten, dass die Hummel zu einer Blüte fliegt und dann im letzten Moment abdreht. Warum? Sie kann riechen, ob kurz vor ihr schon eine andere Hummel an der Blüte war und dann weiss sie, dass es sich nicht lohnt, dort zu landen.

Sperma vom toten Männchen gespeichert

In der Erdhöhle baut die Hummelkönigin ein Nest aus Wachs, das sie aus speziellen Drüsen im Hinterleib absondert. Diese isolierende Unterlage sorgt dafür, dass der gefrorene Boden die Brut nicht sofort vernichtet. Die Eierstöcke im Hinterleib der Hummelkönigin sind während des Winters geschrumpft und benötigen Protein, um sich auszudehnen und Eier zu entwickeln. In den Ovarien ist auch schon Sperma eingelagert, das aus der Befruchtung im letzten Sommer von einem Männchen stammt, das längst nicht mehr lebt.

Neben dem Nest hat die Lappland-Hummel einen kleinen Topf gefertigt, der mit Honig gefüllt ist und aus dem sie sich ernährt, während sie durch intensive Vibration ihres Körpers ihre Eier bei einer konstanten Temperatur von 30 °C wie ein Vogel bebrütet. Nach vier bis fünf Tagen schlüpfen winzige kommaförmige weisse Larven. Diese Larven sind reine Fressmaschinen, die in den nächsten drei Wochen von der alleinerziehenden Mutter rund um die Uhr versorgt werden. Nach mehreren Häutungen verpuppen sich die Larven in eine Puppenhülle aus Seidenfäden und nach der Metamorphose schlüpfen die Junghummeln. Jede junge Arbeiterin wird fürsorglich betreut und zum Honigtopf geführt. So wächst eine neue Hummelgeneration heran, die dazu beiträgt, dass die grössten Wildblumenwiesen der Erde bestäubt werden. Wer hat sich das bloss ausgedacht?

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Autor: Friedhelm Olschewski
Quelle: Magazin MOVO 02/2024, SCM Bundes-Verlag

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