Leben in muslimischem Umfeld

Orthodoxe Sankt-Georgs-Kathedrale
Wie leben und erleben Menschen ihr Christsein in einem muslimischen Umfeld? Vier arabische Christen beschreiben ihre sehr unterschiedlichen Erfahrungen.

Wenn morgens schon vor Sonnenaufgang der Muezzin von einer benachbarten Moschee zum Beten ruft, Menschen in langen Gewändern über den Basar schlendern und mit den Händlern feilschen, dann klingt das sehr orientalisch. Gleichzeitig wird bei näherem Hinsehen deutlich, dass es die arabische oder gar islamische Kultur so nicht gibt: Je nach Gegend sind italienische, französische oder britische Einflüsse deutlich, gibt es demokratische Regierungen, Königshäuser oder Autokraten und spielt eine der zahlreichen islamischen Glaubensrichtungen eine mehr oder weniger starke Rolle im öffentlichen Leben.

In einem Artikel in Christianity Today folgert Jayson Casper: «Einige Nationen sind säkular, andere setzen die Scharia durch. Einige schützen christliche Minderheiten, andere diskriminieren sie. Es ist schwierig, eine pauschale Zusammenfassung zu geben – oder einheitliche Lehren für die Christen vor Ort zu ziehen.» Aus diesem Grund befragte er vier arabische christliche Leiter, wie Jesus-Gläubige in diesen Situationen ihren Glauben bezeugen, sozialen Frieden bewahren und Verbundenheit mit anderen Christen leben. Die Antworten spiegeln ihre unterschiedlichen theologischen Positionen genauso wider wie ihr unterschiedliches Umfeld.

Dialog

Martin Accad ist Theologe und Philosoph, akademischer Leiter des Arab Baptist Theological Seminary im Libanon und Gründer sowie Leiter des dortigen Instituts für Nahoststudien. Martin Accad betont in seiner eher offenen Umgebung im Libanon einen «kerygmatischen Ansatz». Er sucht den Dialog, vermeidet es, seine Sicht als die einzig richtige darzustellen und vermeidet Polemik. Auf dieser Basis verkündet er fröhlich das Evangelium. Für ihn ist es wichtig, nicht zu einer Religion einzuladen, sondern zu Christus, der, «auch wenn er als Rabbi, Lehrer und Führer des Judentums anerkannt war, jedes harte Wort, das er sprach, an seine Glaubensgenossen richtete, niemals an diejenigen, die die religiöse Institution als unrein, ausgestossen oder sündig betrachteten». Dazu gehört für Accad auch ein «respekt- und liebevoller Umgang», der die islamischen Weltanschauungen als vielfältig und dynamisch wahrnimmt.

Er unterstreicht: «Wir machen unsere muslimischen Nachbarn nicht für die hasserfüllten Taten ihrer Glaubensbrüder verantwortlich und betrachten einen Extremisten nicht als Sprecher der Sekte, der er angeblich angehört.» Als Jünger Jesu sollten Christen andere auf den Weg mit ihm einladen und dabei die Augen weder vor eigenen noch vor anderen religiösen Fehlentwicklungen verschliessen. «Prophetisch und wissenschaftlich ehrlich» nennt Accad dies. Die klassische evangelikale Missionsbewegung der Vergangenheit sieht er als nicht mehr zeitgemäss an: «Wir leben heute in einer noch nie dagewesenen multireligiösen und multikulturellen Enge, in Gemeinschaften, die oft zu Spaltungen und Konflikten neigen. Als Jünger Jesu ist es unsere Pflicht, neu zu überdenken, wie wir in Treue zum Evangelium und im Bemühen um menschliche Harmonie zusammenleben und arbeiten.» Ein ausführliches Interview mit ihm findet sich auch hier.

Symbiose

Najib Awad ist syrisch-amerikanischer Theologe und Historiker. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn. Najib Awad unterstreicht, dass «seinen Glauben leben» für ihn keine Werbestrategie ist, die man täglich im öffentlichen Raum zur Sprache bringen sollte, und ergänzt: «Dieser Ansatz des 'lebendigen Glaubens' mag zwar anderswo funktionieren, aber im Nahen Osten funktioniert er nicht.» Viele Christen seien im Nahen Osten entweder mit Bekehrung und Konfrontation oder mit Überleben und Selbstverteidigung beschäftigt. Awad favorisiert es, «mit anderen religiösen Gläubigen in Beziehung zu treten und symbiotisch miteinander zu leben», weil sie sowieso «zum selben Lebensumfeld gehören, … das gleiche Schicksal» teilen.

Für ihn ist Mission kein primäres Ziel, vielmehr würdigt er den Glauben seiner muslimischen Landsleute, «als ob Jesus Christus in der Kraft des Geistes durch Gottes geheimnisvolles und unergründliches Offenbarungswerk bereits gegenwärtig und aktiv ist. Der Geist weht, wo es ihm gefällt, auch in ihnen und in ihrem Glauben. Die Christen können also ihrem Herrn und Erlöser in tiefer Beziehung zu den Muslimen folgen, in der Hoffnung, dass sie bereits Gottes Kinder sind.» Weitere Veröffentlichungen von ihm finden sich hier.

Konfrontation

Harun Ibrahim wurde in Jerusalem in einer säkularen arabisch-muslimischen Familie geboren und wohnt derzeit in Finnland. Er ist Direktor von al-Hayat Ministries, die seit 2003 christliche Programme über Satellitenfernsehen in die muslimische Welt ausstrahlen. Harun Ibrahim sieht Christen, die vorsichtig nach Anknüpfungspunkten suchen, um ihren Glauben zu thematisieren, sich wie Katzen um den heissen Brei drehen. «Dies geschieht aus Angst, denn wenn sie auf der Strasse sagen würden, dass Mohammed kein Prophet ist, würde das vielleicht ein- oder zweimal funktionieren, aber dann zu einer Enthauptung führen. Der Islam ist eine gewalttätige Religion.» Gute Werke hält er nicht für geeignete Türöffner, auch Jesus hätte «nie mit einem sozialen Projekt» begonnen – stattdessen wäre Konfrontation geeignet, wenn der Heilige Geist so führen würde: «Im Rahmen der Freundschaft – und der Medien – kann Polemik angemessen sein.»

Dabei wünscht sich Ibrahim, dass der Lebensstil von Christen Ausgangspunkt ist, der Fragen bei Muslimen hervorruft: «Wenn wir gefragt werden, was wir von ihrem Propheten halten, können wir zunächst sagen, dass er in der Bibel nicht erwähnt wird. Dass er euer Prophet sein kann, aber nicht meiner.» Als arabischer Christ mit muslimischem Hintergrund wird er im Westen von etlichen Kirchen hofiert (er nimmt es wahr als: «Endlich haben wir einen von ihnen»), von arabischen Christen dagegen wegen seiner evangelistischen Medienarbeit oft kritisiert. Von ihnen hört er: «Ihr schadet uns und sie werden uns töten.» Seine Antwort: Das haben sie auch vorher schon getan, und «wir greifen nicht an; wir sagen die Wahrheit in Liebe».

Vorbild

Bashar Warda ist der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil und Gründer der katholischen Universität und des Maryamana-Krankenhauses seiner Stadt in der Region Kurdistan im Nordirak. Bashar Warda stellt mit einem Blick in die Geschichte des Zweistromlandes (dem heutigen Irak) fest, dass «die Möglichkeit, öffentlich ein Evangelium zu bezeugen, das zur Nachfolge einlädt, durch die Zwänge der islamischen Lehre und Rechtsordnung immer weiter eingeschränkt» wurde. So fusse die irakische Verfassung ausdrücklich auf der Scharia – Religionsfreiheit gebe es keine. Sie ist für ihn eher eine «Ermessensduldung der islamischen Herrscher gegenüber Minderheiten wie Christen oder Jesiden, … die je nach der Stimmung der islamischen Behörden subjektiv eingeschränkt werden kann». Dass Muslime sich zum Christentum bekehren, ist dabei nicht vorgesehen.

Wenn es geschieht, müssen sie meist aus ihrer Heimat fliehen, um Repressalien zu entgehen. Irakische Christen nutzen deshalb die Möglichkeit, als Vorbilder in die Gesellschaft hinein zu arbeiten – zum Beispiel im Rahmen christlich geprägter Schulen und Krankenhäuser. Für Warda ist dies eine indirekte Form der Evangelisation, «aber mehr zu tun, würde mit Sicherheit auf Gewalt stossen». Einen signifikanten «Schaden für das Zeugnis» sieht der Erzbischof «durch die Spaltungen innerhalb unserer christlichen Gemeinschaft», die oft von aussen in die Region hineingetragen würden – also das Missionieren untereinander. Hier wünscht er sich echten Dialog und Zusammenarbeit, um die muslimische Gesellschaft zu erreichen: «Wir beten, dass dies nicht nur unsere klare Absicht zeigt, in Frieden zu leben, sondern auch die Wahrheit und Substanz unseres christlichen Glaubens.»

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Christianity Today

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