Partizipation als Schlüssel für die nächste Generation
«Jeden Jugi-Abend wiederholt es sich, er ist immer am Handy!» Wir fragten uns, warum dieser Junge immer noch jeden Freitag in die Jugendgruppe kommt, wenn er doch nur am Handy sitzt.
An einem Freitagabend hatten wir ein organisiertes Programm, während der nächste Freitag für entspanntes Zusammensein in der Lounge reserviert war. Dort konnte man einfach sein, Freunde mitnehmen, Billard spielen, an der Bar einen Drink nehmen. Das Programm war aktiv und lud zum Mitmachen ein. Es gab keine Handy-Ecke, in der man sich unbemerkt verstecken konnte.
Anstelle von Jugendgottesdiensten setzte das sechsköpfige Leitungsteam der Jugi Wil den Schwerpunkt auf die Gemeinschaftsabende, um dem Bedürfnis nach Nähe und Normalität gerecht zu werden, anstatt fromm und abgehoben zu wirken. Natürlich standen unsere Werte und Jesus im Mittelpunkt, zu denen wir uns klar bekannten. Unsere Herzensangelegenheit war es, dass der Gottesdienst am Sonntag auch für Jugendliche ansprechend ist, sodass kein separater Jugendgottesdienst nötig ist und die Jugendlichen wirklich Teil der Kirche sind.
Interessen zur Ehre Gottes nutzen
Besagter Junge beschäftigte uns sehr. Immer wieder setzten wir uns zu ihm, sprachen mit ihm, zeigten Interesse an dem, was er auf seinem Handy ansah, und stellten Fragen. Trotz des Programms und mancher Aufforderung unsererseits kam er nur sehr selten davon los. Anstelle einer angemessenen Disziplinarmassnahme fragten wir uns, wie dieses starke Interesse zur Ehre Gottes genutzt werden könnte. Dies war die Schlüsselfrage für ein Konzept, das heute noch besteht.
Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass viele Jugendliche nicht wissen, wo sie hingehören und was sie wollen. Jugendliche möchten gerade in diesem Alter ihren Platz und ihre Berufung finden. Um das herauszufinden, brauchen sie einen Rahmen und ein Umfeld, in dem sie ihre Begabungen einbringen können.
An einem Vorbereitungsabend dachten wir über mögliche Aufgaben nach, die bei den Jugi-Veranstaltungen anfallen, welche Teams gebildet werden müssten und wie diese Aufgaben mit den Dienstbereichen der Kirche verknüpft werden könnten. So kam es, dass wir diesen Jungen fragten, ob er sich vorstellen könnte, sein Handy für Gott einzusetzen und Teil unserer Idee zu sein, ein Social Media-Team zu gründen. Die Idee war, kurze Einblicke durch Storys oder Bilder zu erstellen und diese zu posten. Wir werden nie vergessen, wie seine Augen leuchteten. Sein «Ja» kam wie aus der Pistole geschossen und sofort sprudelten die Ideen nur so aus ihm heraus. Er legte sogar direkt los. Wir trafen uns mit ihm, um Ideen zu besprechen und andere potenzielle Teammitglieder zu finden. Es dauerte nicht lange und wir hatten ein grossartiges Team beisammen.
Neben dem Social Media-Team gründeten wir ein Bar-Team, das für die Drinks und die Snacks, aber auch für den Einkauf und das Aufräumen der Bar zuständig war. Ausserdem gab es ein Foto-Team, das Fotos machen und die besten Schnappschüsse in einer übersichtlichen Ordnerstruktur zur Verfügung stellen sollte, damit sie für Flyer oder Posts weiterverwendet werden konnten. Schliesslich gab es auch ein Deko-Team, das für die saisonale Dekoration zuständig war. Es gab also insgesamt vier Teams. Zu Beginn stammten die Teamleiter aus dem Leitungsteam der Jugi. Als die Jugi jedoch wuchs, wurden geeignete Jugendliche aus der Jugi selbst zu Leitern dieser Teams.
Integration in die Kirche
Die jungen Leute fanden einen Rahmen und Möglichkeiten, um sich einzubringen. Sie konnten ein halbes Jahr lang mitmachen und dann wieder wechseln. Auch Neulinge hatten schnell eine Aufgabe und fühlten sich zugehörig. Als Leiter konnten wir feststellen, wer zuverlässig war und welche Talente Gott in den Einzelnen angelegt hatte. Wir sahen, wo sie aufblühten, und konnten sie ermutigen, auch mal etwas Neues auszuprobieren. Auf diese Weise wuchsen die Teams. Als nächsten Schritt folgten Absprachen mit den Dienstteams der Kirche. Dadurch konnten Jugendliche mit der Zeit von der Jugi in die Teams der Kirche wechseln und sind heute teilweise sogar Teamleiter in denselben Teams, nun aber auf einer übergeordneten Ebene innerhalb der Kirche. Natürlich profitierte die gesamte Kirche davon.
Das alles klingt schön und gut. Aber es gab auch Rückschläge. Zum Beispiel teilte uns eine Person, die drei Jahre lang für die Barkasse verantwortlich war, während eines Lobpreisabends mit, dass sie wiederholt Geld abgezweigt hatte, weil sie privat zu wenig Geld hatte. Gott überführte ihr Gewissen, sie kam auf uns Leiter zu und zahlte
schliesslich alles zurück. Wir durften die Situation im Guten klären und vergaben dieser Person. Sie steht heute in einer noch grösseren Verantwortung. Es gab auch Situationen, in denen wir Jugendliche aus Teams «entlassen» mussten, weil sie beispielsweise unzuverlässig waren. Da half es, dass wir den Jugendlichen nahestanden und mit ihnen freundschaftlich unterwegs waren. Trotzdem war es nicht immer einfach.
Ausprobieren und entdecken
Dies ist kein Konzept für alle Zeiten und jede Kirche an jedem Ort. Aber wir hoffen von Herzen, dass es Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, dazu ermutigt, ihnen einen Rahmen zu geben, um auszuprobieren. So können sie entdecken, was sie freut, wofür sie brennen, welche Not oder Bedürfnisse sie sehen, und letztlich in ihre individuelle Berufung hineinwachsen, die Gott für sie hat.
Und dieser Junge? Er schien wie ausgewechselt. Das Handy war nicht mehr das Hauptthema, ausser wenn es ums Filmen oder Fotografieren ging. Ermahnungen waren nicht mehr nötig. Er wirkte lebendiger, kam von sich aus auf uns zu, stellte Fragen und war sogar für andere da. Genau das sollen Jugendliche der Zukunft in der Kirche erfahren.
Dieser Beitrag erschien zuerst im SEA Fokus, dem Hintergrundmagazin der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.
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