Die erstaunliche Verwandlung eines Ehepaars
«Ich war die unglücklichste Frau der Welt», erzählt Marie-Rose Nizigiyiman. «Mein Mann war alkoholabhängig. Tagsüber hat er geschlafen, und mit dem Sonnenuntergang ist aus dem Haus gegangen und hat mit seinen Freunden getrunken. Wenn er nachts zurückkam, war er unberechenbar. Oft veranstaltete er einen grossen Lärm, bedrohte mich und die Kinder. Wenn es besonders schlimm war, sind wir zu einer Nachbarin geflüchtet.»
Marie-Rose Nizigiyiman ist 48, ihr Mann Michel Kabuze 65. Sie haben acht Kinder, fünf Mädchen und drei Jungen. Eine Grossfamilie, wie sie in den dörflichen Regionen Burundis, wo die beiden leben, bis heute üblich ist. Das arme Land in Ostafrika hat die am schnellsten wachsende Bevölkerung der Welt.
Michel steht neben seiner Frau. Er ergänzt ihren Bericht: «Ich war ein sehr schlechter Ehemann. Da war nicht nur das Geschrei und die Gewalt. Wenn ich betrunken war, habe ich den Besitz verkauft, für den meine Frau hart gearbeitet hat, nur um an mehr Alkohol zu kommen. Ich kannte kein Mass. Oft ging meine Familie hungrig ins Bett. Meine Frau konnte mir nicht mehr vertrauen, sie schickte mich ins Dorf, um Salz und Öl zu kaufen, doch ich landete in einer Bar.»
«Heute ist alles anders als früher»
Michel greift scheu nach der Hand von Marie-Rose. Sie strahlt ihn an und erklärt uns: «Ich hätte niemals gedacht, dass sich unser Leben ändern könnte, aber dann habe ich zum Glück in der Kirche von diesem Schulungsprogramm über ‚Gender based violence‘ (Gewalt gegen Frauen) gehört und an einem Kurs für Frauen teilgenommen. Heute ist alles anders als früher.»
Die Schulungen werden von Tearfund Burundi und der FECABU Church angeboten, einer im Land sehr verbreiteten pfingstlichen Kirche, die eng mit der Evangelischen Allianz verbunden ist. Dort haben erst Marie-Rose und später Michel eine komplett neue Vision davon bekommen, wie eine Ehe aussehen kann. Sie haben gelernt, was ein schlechter Ehemann ist, aber auch, was eine schlechte Ehefrau ist – und wie Gottes Idee von Ehe aussieht, nämlich, dass Mann und Frau sich respektieren und füreinander da sind.
«Ich wusste nicht, dass es so etwas wie häusliche Gewalt überhaupt gibt. Ich dachte, es sei normal, wenn der Mann trinkt, oder wenn er sich Sex nimmt, wann immer er will», erklärt Marie-Rose. In den Kursen lernt sie, dass es vier Formen von Gewalt gegen Frauen gibt: Sexualisierte Gewalt, wenn der Partner seine Frau zum Sex zwingt oder sie im Extremfall sogar vergewaltigt. Psychische und emotionale Gewalt, die aus Beleidigungen, Einschüchterungen und Drohungen bestehen kann, oder auch darin, den Partner zu ignorieren. Wirtschaftliche Gewalt, bei der der Mann das gemeinsame Eigentum oder den Besitz der Frau eigenmächtig verkauft. Und schliesslich körperliche Gewalt. Marie-Rose seufzt: «Alle vier Formen von Gewalt habe ich erleben müssen.»
«Ein Neuanfang geht nur, wenn beide etwas ändern»
Aber sie macht auch eine andere Entdeckung: Oft hat sie ihren Mann ignoriert oder war ihm gegenüber geizig, wenn er eine Anschaffung tätigen wollte. «Ich musste mir eingestehen: Auch das sind Formen von Gewalt. Wenn wir unsere Ehe retten wollten, mussten wir uns beide ändern.» Ich zucke kurz, als Marie-Rose an diesen Punkt kommt. Lässt sich das miteinander vergleichen? Klingt das nicht nach Täter-Opfer-Umkehr?
Doch als hätte sie meine Gedanken gelesen, ergänzt sie: «Das ist natürlich überhaupt keine Entschuldigung für Michels Verhalten. Kein Mann hat das Recht, einer Frau gegenüber Gewalt anzuwenden. Aber ein Neuanfang geht nur, wenn beide etwas ändern. Nach einer Gruppensitzung bin ich nach Hause gegangen und habe meinen Mann in den Arm genommen – das hatte ich schon sehr lange nicht mehr gemacht.»
Die Teilnahme an den Schulungen verändert Marie-Rose. Sie wird selbstbewusster, lernt, wie man Grenzen setzt – und ist ihrem Mann gleichzeitig näher als vorher. Das macht Michel neugierig und er besucht ebenfalls eine Gruppe, hier geht es darum, ein neues Männerbild zu entwickeln. Michel beginnt sich zu verändern, verzichtet immer häufiger auf Alkohol. Marie-Rose und er lesen die Bibel, treffen Entscheidungen gemeinsam. «Ohne die Hilfe Gottes hätte ich das nie geschafft. Und nicht ohne meine Frau.» Zärtlich sieht er zu Marie-Rose. Stolz liegt in seinem Blick.
Tabus durchbrechen
Warum erzählen Marie-Rose und Michel uns – den Besuchern aus Deutschland – so offen von ihrer Geschichte? Sie haben gelernt, dass man das Schweigen brechen muss, um häusliche Gewalt zu beenden. Früher dachte Marie-Rose, sie sei die Einzige im Dorf, die Gewalt erfahren hat. Bis sie die Geschichte von anderen Frauen hörte und begann, mit ihren Nachbarinnen zu sprechen. Dabei erfuhr sie, dass sie alle betroffen sind.
Marie-Rose und Michel haben verstanden: Nur wer Tabus durchbricht, kann etwas verändern. Ihr Motto ist: «Cry out – speak out», frei übersetzt: «Schäme dich deiner Tränen nicht, sprich aus, was du erlebst.» Mit einem festen Händedruck und einem Strahlen verabschiedet sich Marie-Rose. Von der unglücklichsten Frau der Welt ist nichts mehr zu sehen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.
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