Chronisch erschöpft – biblisch ermutigt
Ali Forbes kommt aus der Nähe von Inverness in Schottland. Vor zwölf Jahren zog er nach Glasgow, um Gälisch zu studieren. Bereits kurz nach seiner Ankunft fiel ihm die Armut und Obdachlosigkeit auf den Strassen der Stadt auf. Er spürte, dass Gott ihn dort haben wollte, und so begann er, sich im Rahmen einer christlichen Hilfsorganisation für Obdachlose einzusetzen. Dabei ging es ihm sowohl um ihr leibliches als auch um ihr geistliches Wohl. «Für mich war es eine Offenbarung, dass ich, selbst wenn ich alles Geld der Welt hätte, das Problem eines einzelnen Menschen nicht lösen könnte», so erzählt er. «Denn nur das Evangelium kann das Leben eines Menschen wirklich verändern. Ohne die verändernde Kraft von Christus und das, was er für uns getan hat, gibt es einfach keine Antwort.»
Niederschmetternde Diagnose
Gegen Ende seines Studiums bemerkte Ali, wie seine Kraft immer weniger wurde. «Ich merkte, wie ich diese schlechten Tage hatte, an denen ich einfach aufhörte und nicht mehr sprechen und denken konnte. Ich war so kaputt, dass ich mich einfach hinlegen musste. Das dauerte meist einen Abend oder einen Tag lang. Und dann dauerten die Energieschübe Tage oder Wochen.» Schliesslich die Diagnose: Chronic Fatigue Syndrom (CFS), zu Deutsch: Chronisches Erschöpfungssyndrom – eine Krankheit, die noch kaum erforscht ist und für die es bis heute keine wirkliche Therapie gibt.
Für Ali war es eine niederschmetternde Nachricht, die ihn in eine schwere Glaubenskrise stürzte. Gleichzeitig sorgte gerade diese Diagnose dafür, dass er sich mit den Grundlagen und Überzeugungen seines eigenen Glaubens ernsthaft auseinanderzusetzen begann. «Wir sagen, dass wir unser Leben in Gottes Hände gegeben haben. Und dann sind wir frustriert, wenn er nicht das tut, was wir geplant hatten.»
Wenn man nichts mehr bieten kann
Letztendlich wurde die Krankheit für Ali zu einer Chance, darüber nachzudenken, woran er wirklich glaubt und worauf er sein Leben stützt. «Wenn du an chronischer Erschöpfung leidest und wirklich abstürzt, dann kannst du nichts tun. Du kannst niemandem etwas bieten. Du kannst Gott nicht wirklich etwas bieten. Du kannst keinen Sport treiben, nicht arbeiten, keine Kontakte knüpfen. Aber du kommst an einen Punkt, an dem du erkennst: Entweder liebt Gott uns aufgrund dessen, was wir tun, oder aufgrund dessen, was er getan hat.»
Eine Passage aus Jesaja, Kapitel 30 wurde ihm dabei eine besondere Ermutigung: «In der Not wird euch der Herr Brot und in der Bedrängnis Wasser geben. Deine Lehrer werden sich nicht mehr verkriechen müssen. Du wirst die, die dich lehren, mit eigenen Augen sehen können. Ob dein Weg nach rechts oder links führt, wird eine Stimme hinter dir herrufen und dir ansagen: ‚Das ist der richtige Weg, den geh!‘» (Jesaja Kapitel 30, Verse 20-21).
Ali fasst es so in eigenen Worten zusammen: «Manchmal schauen wir Gott an und denken, er will uns nur durch ein friedliches Leben bringen. Aber hier bringt er diese Menschen durch Not und Bedrängnis. Denn er hatte ein grösseres Ziel, als nur in Frieden zu leben.»
Unverhoffte Parkbank-Gespräche
2017 war ein Jahr, in dem es Ali besonders schlecht ging. Arbeiten war für ihn nicht möglich. Damals wohnte er direkt neben dem Calvin Grove Park und verbrachte viel Zeit dort, um wenigstens nicht den ganzen Tag in seiner Wohnung zu hocken. Dabei wurde die Parkbank, auf der er oft sass, überraschend zum Missionsfeld. «Denn während ich nachdachte, mit Gott sprach und lernte, kam ich immer wieder mit Menschen ins Gespräch, und wenn mich jemand ansprach, erzählte ich entweder meine Geschichte oder das Evangelium oder beides. Ich hatte das Gefühl, dass Gott versuchte, in mir ein Herz für Evangelisation zu kultivieren und dafür, das Evangelium mehr und mehr mit den Menschen zu teilen.»
Bis heute leidet Ali unter seiner seltenen Krankheit und hat sich noch nicht erholt. Inzwischen ist das für ihn aber kein Grund mehr, an Gott zu zweifeln oder den Mut zu verlieren. «Für alles, was Gott getan hat, würde ich das noch einmal durchmachen. Gott könnte sich in mir verherrlichen, indem er mich auf der Stelle heilt. Aber es gibt die andere Möglichkeit, wie Gott seinen Namen durch meine Krankheit verherrlichen kann, nämlich dass er mich zum Aushalten auffordert. In diesem Sinne muss ich zeigen und sichtbar machen, dass die Nachfolge Gottes wichtiger ist als der Wert meiner Gesundheit. Ich entscheide, dass es sich immer noch lohnt, ihm zu folgen. Selbst durch diese Enttäuschung hindurch. Mein Hauptziel ist es jetzt, dahin zu folgen, wohin Gott mich führt. Ich weiss also nicht, was meine Zukunft bringt, aber er hat mich definitiv an jedem Punkt meines Lebens geführt. Ich hatte ein klares Gespür dafür, wohin ich gehen soll.»
Dieses vollkommene Vertrauen auf Gott, einen Weg zu gehen, dessen Ziel oder Wegpunkte er jetzt noch nicht sehen kann, macht Ali keine Angst, ganz im Gegenteil. «Es ist eine grosse Erleichterung, zu entdecken, wer Gott ist, wenn ich keinen Plan habe.»