Mein Gebetshaus zuhause
Gebet. So ein kurzes Wort mit so unfassbar viel Auswirkung. Pure Verbindung: zu Gott, zu mir selbst, aber auch zu meinem Umfeld, in dem ich lebe. Im Kern steckt darin echte Verbundenheit mit dem Leben, und das auf einer Ebene, die wir zutiefst brauchen. Gebet ist ein Schatz, den wir als Christinnen und Christen fest in unserem Erbe verankert haben – und oft doch nicht heben. Es ist der vielleicht wichtigste Ausdruck christlicher Spiritualität und doch scheint er oft so weit weg zu sein.
Wer spürt hier nicht die Spannung? Ich kenne sie sehr gut aus meinem Leben und will ein wenig Einblick darin geben. Ich habe Gebet gelebt und erlebt. Ich hatte Gebet fast zehn Jahre als Kernaufgabe meines Arbeitsalltags in einem Gebetshaus und auch davor schon eine längere Geschichte damit.
Meine Lebensphasen als Beter
Als ich 17 oder 18 war, hatte mich das Buch «Red Moon Rising» von Pete Greig auf eine Weise auf das Thema Gebet aufmerksam gemacht, dass ich einfach Lust hatte, Räume zum Beten zu schaffen. In dieser Zeit hatte ich einmal einen merkwürdigen Gedanken. Es war mir, als würde ich das Wort «Gebet» vor meinem inneren Auge sehen und den Gedanken, dass ich mich damit gut auskennen sollte. Ich hatte dann manchmal das Gefühl, ich sollte mehr dazu lesen, aber als 18-Jähriger war Lesen definitiv nicht meine Leidenschaft. Dennoch blieb ich am Thema dran. Wir richteten im Jugendkeller einen Gebetsraum ein. Er war zu niedrig, um darin zu stehen, und es führten Belüftungsrohre hindurch, aber egal: Wir hatten krasse Gebetszeiten und haben tolle Erfahrungen gemacht.
Später habe ich fast zehn Jahre lang in einem Gebetshaus gearbeitet. Im Laufe der Zeit wurde die Gebetshausszene (vor allem wegen der MEHR-Konferenz in Augsburg) bekannter und auch unser Gebetshaus in Freiburg wuchs. Es wurde für viele Menschen ganz normal, täglich oder wöchentlich viele Stunden im Gebet zu verbringen.
Was war das für eine Zeit im Gebetshaus für mich gewesen? Die Antwort darauf wurde mir durch den Kontrast klar: Als Sabbatical arbeitete ich im Anschluss ein Jahr lang als Barista. Danach bin ich als CVJM-Sekretär (eine Art leitender geistlicher Bildungsreferent) wieder in die kirchliche Szene eingestiegen – und es dämmerte mir: Was ich im Gebetshaus gemacht habe, war echt exotisch!
Seitdem beschäftigt mich die Frage: Wie kann ich Gebet in meinen Alltag integrieren? Ich meine diese ganz persönlichen Zeiten. Meine Verbundenheit mit dem Leben, wie ich sie eigentlich liebe, aber trotzdem oft nicht finde.
Gebets-Ideale
Ich habe einen inneren Prototyp, wie Gebet für mich aussieht, wenn es um diesen ganz persönlichen Aspekt von Gebet geht. Vielleicht geht mir das nicht allein so – möglicherweise haben viele, die diesen Beitrag lesen, ebenfalls ihre Ideale und ersehnten Modelle. Während ich von meinem Prototyp berichte, können Sie vielleicht beiläufig Ihr eigenes Ideal damit vergleichen.
Mein innerer Prototyp sieht so aus: Ich war im Urlaub, und zwar (als einem der letzten Male) mit meinen Eltern im klassischen Familienurlaub. Meine Brüder waren schon wieder abgereist und ich hatte eine ganze Woche, in der ich mir einen ruhigen, sonnigen Platz an einem kleinen, einsamen See zu eigen machte. Hier habe ich jeden Tag Zeit verbracht, Bibel gelesen, Feuer gemacht, mal ins Wasser gesprungen. Ich hatte immer Kaffee dabei und ab und zu gönnte ich mir ein Zigarillo. Auch eine kleine Musikbox war im Gepäck und es lief viel Lobpreis, damals mit grosser Wahrscheinlichkeit von Hillsong. Beim Bibellesen las ich gemütlich ein Kapitel nach dem nächsten durch und stoppte immer bei den Aspekten, die mich inspirierten oder ins Nachdenken brachten. Dabei genoss ich das Glitzern der Sonne, die Spiegelungen der Baumwipfel auf dem Wasser und die Tatsache, dass ich gerade ganz für mich war.
In diesen Tagen am See bildete sich für mich heraus, wie ich Gebet erlebte. Ich fühlte und wusste mich Gott ganz nah. Nicht dass ich viele Worte formuliert hätte, eher erlebte ich ein Nachdenken und Sein in Gottes Gegenwart. Psalm 27, Vers 4 wurde deshalb für mich ein Zugang zum Gebet: «Eins habe ich vom Herrn erbeten, danach trachte ich: zu wohnen im Haus des Herrn alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Freundlichkeit des Herrn und nachzudenken in seinem Tempel.» Nachdenken in seiner Gegenwart ist für mich eine Form von Gebet.
Das also ist mein inneres Bild, wie für mich Gebet aussieht at it’s best. Welches wäre Ihr Ideal? Und wenn Sie es beschreiben – was genau daran entspricht Ihnen und Ihrer Persönlichkeit?
Wie Verbundenheit entsteht
Ich weiss, dass Gebet viele Aspekte hat. Es gibt gemeinsame Fürbitte-Momente, durchtragendes Fasten, starke Anbetungszeiten, intime Kontemplation, verzweifelte Hilferufe und andere Formen. Aber ich konzentriere mich hier mal auf den Verbundenheits-See-Aspekt.
Verbundenheit, weil ich in solchen Momenten meistens ganz im Hier und Jetzt ankomme. Ich bin richtig da, mit all meinen Emotionen, Gedanken, Fragen und Freuden. Dabei spüre ich mich, bin verbunden mit mir selbst und mache in diesem «da Sein» Gott die Tür zu meiner Innenwelt auf. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, dass er mir seine Welt öffnet, dass er mich in seinen Gedanken und seiner Klarheit willkommen heisst. Nicht selten habe ich das Gefühl, dass als Wirkung solcher Zeiten meine Erdung und Präsenz in meinem Umfeld gestärkt wird. Nachdem ich also vor Gott ganz «da war», kann ich dann auch in meiner Familie, im Job, am Telefon, unter Freunden ganz «da sein». Manchmal fühle ich mich inspiriert, erfrischt oder einfach ein wenig klarer. Manchmal passiert einfach nichts von all dem und ich fühle mich null verbunden. Doch um dieser Klarheit willen, die ich immer wieder erlebe, liebe ich diese Verbundenheit, und deshalb wünsche ich mir solche Zeiten.
Wie aber finde ich Verbundenheits-Momente in meinem Alltag? Meine Frau Lisa und ich haben mittlerweile drei absolut wunderbare Kinder, mit denen der Alltag gut gefüllt ist. Früher hatte ich kein Auto, keinen Garten, keine Steuererklärung, keinen intensiven Beruf. Und damals am See hatte ich noch keine mobilen Daten, kein Instagram oder Netflix. Und jetzt? Tja, ein schöner einsamer See breitet sich leider nicht vor der Haustür aus... Aber wir haben im CVJM zum Glück einen Gebetsraum. Und es gibt Momente, in denen meine Kinder schlafen oder im Kindergarten sind. Augenblicke also, in denen ich mir einen Verbundenheits-Moment gestalte. Zur Zeit klappt das allerdings selten. Manchmal versuche ich, früher aufzustehen, manchmal versuche ich, es mir woanders einzuplanen. Und ab und zu passiert es spontan – das ist eigentlich das Beste!
Praxistipps für den Alltag
Was also hilft mir, solche Zeiten zu gestalten?
- Ausreichend Schlaf. Ein früherer Kollege sagte mal: «Manchmal ist schlafen das Geistlichste, was du tun kannst.» Wahrscheinlich erleben wir uns alle viel aufnahmefähiger, konzentrierter, gelassener, empfangsbereiter, wenn wir nicht total übermüdet sind. In hochintensiven Arbeitszeiten dagegen fühle ich mich selten besonders resonanzfähig gegenüber Gottes ganzheitlichem Reden.
- Eine schöne, angenehme Umgebung. Ich persönlich fühle mich direkt wohler, wenn ich von Schönheit umgeben bin. Natur, ein schönes Café, Spaziergang, Sonnenlicht, ein aufgeräumter Ort, Ästhetik auf irgendeiner Frequenz. Kein must have, aber definitiv hilfreich.
- Das Lieblingsgetränk meiner Wahl. In der Regel ein guter Cappuccino. Je nach Tageszeit und Stimmung natürlich variabel.
- Lobpreismusik. Manche lenkt sie ab, ich für meinen Teil mag sie sehr.
- Eine Möglichkeit für Notizen. Fast immer fallen mir erst einmal alle To-Dos ein. Die schreibe ich auf, dann nehmen sie schon mal weniger Aufmerksamkeit ein. Ausserdem schreibe ich oft weitere Gedanken auf, die mir kommen.
- Manchmal helfen mir auch gute Bücher, mein Nachdenken vor Gott zu beflügeln. Manchmal lenken sie mich aber auch zu sehr ab. Mal so, mal so.
- Im Gebetsraum im CVJM habe ich ein Gebetsbänkchen stehen, auf dem ich oft meine Gebetszeit anfange. (Zumindest, wenn ich mal dazu komme...) Das ist eine Angewohnheit aus Gebetshauszeiten. Ich möchte eine äusserliche Körperhaltung für ein inneres Geschehen einnehmen. Zuhause ist es aber oft auch der Bürostuhl, die Couch und eine entspannte Haltung. Ein Ausdruck für «Ich geniesse die Zeit».
- Das Gebet «Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner» ist ganz oft mein Begleiter. Wunderbare Worte für meine Sehnsucht, dass meine Anliegen auf seine Gnade treffen oder er auf seine Art und Weise etwas in die Hand nimmt.
- Und natürlich versuche ich, mein Handy mal zur Seite zu legen oder den entsprechenden Fokus einzustellen.
Um meine Erfahrungen noch einmal als Tipp zu bündeln: Setzen Sie sich einen guten Rahmen, damit Ihr Inneres es leichter hat, Verbindung aufzunehmen (mit sich selbst und mit Gott). Eine grosse Stärke von Gebetsräumen ist es, solch einen Rahmen zu setzen. Aber auch überall anders können Sie sich Ihren Rahmen gestalten.
Und wenn das kaum möglich ist? Nun, manchmal entsteht so ein Rahmen einfach. Ich erinnere mich, wie ich einmal bei der Autofahrt vom Baumarkt nach Hause plötzlich bei einem Lobpreislied voll in dieser Verbundenheit angekommen war. Das war eher der unerwartete, nicht selbst gesteckte Rahmen. Doch kein Zweifel: Ein Rahmen war es. Eine Zeit und ein Ort, nicht einmal im Wohnzimmer, sondern im fahrenden Auto. Ohne viel Ablenkung auf der Landstrasse unterwegs, Aufmerksamkeit bei den Liedzeilen, Sonnenuntergang im Hintergrund. Und zack, da war eine Begegnung. Ein Stück See-Moment, einfach so.
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