Weder Inkassobüro noch Weihnachtsmann

Beat Reichenbach und Susanne Teuscher
Kredite, Ratenzahlungen, Autoleasing, Geld von Verwandten oder Freunden ... Irgendwann wachsen die Schulden in den Himmel und Verzweiflung macht sich breit. Dann helfen Beat Reichenbach und Susanne Teuscher weiter.

Hope: Was versteht man unter einer Schuldensanierung?
Beat Reichenbach:
Wir sehen uns als (neutrale) Brückenbauer zwischen Gläubiger und Schuldner und versuchen für beide Seiten eine faire Lösung auszuhandeln. Wir sind Berater und Vermittler, aber weder Inkassobüro noch Weihnachtsmann.
Susanne Teuscher: Unser Ziel für unsere Klienten ist die Rückzahlung der Schulden – möglichst in drei Jahren. Dies kann eine vollständige Rückzahlung oder einen ausgehandelten Teilerlass beinhalten – je nach Situation des Schuldners. Gleichzeitig ist es unser Anliegen, die Schuldner während der Sanierungsphase in eine gesunde Finanzkompetenz zu führen.

Was sind die häufigsten Ursachen für Überschuldung?
Susanne Teuscher:
Sie sind vielfältig. Sehr viele Menschen leben ohne Budget und über ihre Verhältnisse. Sie haben nie gelernt, mit Geld umzugehen. Dies überträgt sich o‑ auf die nächste Generation. Auch Lebensereignisse wie Trennung, Scheidung, Stellenverlust, Krankheit sowie die hohe Steuerbelastung im Kanton Bern und die wachsenden Lebenskosten können Menschen in die Schulden treiben. Die Möglichkeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und des Onlineshoppings verleiten zu Anschaffungen, die man sich eigentlich nicht leisten kann.

«Viele Menschen verlieren den Überblick und wissen nicht mehr, wohin ihr Geld ­ fliesst.»
Beat Reichenbach
: Konsum auf Pump ist ein verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft. Leben und Geniessen im Hier und Jetzt, immer und sofort das Neueste haben, das ist bei vielen die Devise. In den letzten Jahrzehnten ist die Nachfrage nach Krediten massiv gewachsen und die Werbung ist aggressiver geworden. Ich denke etwa ans Autoleasing, das Aufmerksamkeit und Prestige verschaffen kann. Hinter vielen Dingen stehen o‑ tiefere Sehnsüchte. Zahlreiche Menschen «erkaufen» sich Anerkennung oder Zuwendung durch Konsumgüter. Etwas zu besitzen, vermittelt ihnen Wert oder sogar Identität. Dafür sind heute viele bereit, sich zu verschulden.

Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die besonders häufig von Überschuldung betroffen sind?
Beat Reichenbach:
Es betrifft fast alle Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten. Tendenziell sind Männer zwischen 25 und 35 Jahren überdurchschnittlich betrogen.
Susanne Teuscher: Oft kommen sie zu uns, wenn bereits Betreibungen oder Pfändungen laufen.

Wie erkennt man, dass man überschuldet ist, und wann ist es an der Zeit, professionelle Hilfe zu suchen?
Beat Reichenbach:
Wenn Mitte Monat kein Geld und auch kein Erspartes mehr bleibt und man in Raten zahlt, wenn Mahnungen und Betreibungen eintreffen und man die Post nicht mehr öffnet. Das ist sehr zermürbend und schlägt oft auf die Psyche. Man kann nicht mehr schlafen, resigniert und isoliert sich und steckt den Kopf in den Sand.
Susanne Teuscher: Solche Warnzeichen nicht ignorieren, sondern Hilfe holen! Wer zum Beispiel in eine Lohnpfändung geraten ist, schafft es aus eigener Kraft kaum mehr heraus. Die Spirale dreht ohne Ende und es entstehen viele Zusatzkosten. Schon in der Bibel wird der Fluch der Schulden beschrieben: «Ein Reicher herrscht über Arme, und wer sich etwas borgt, wird zum Sklaven dessen, der es ihm leiht.» (Sprüche 22, Vers 7b.)

Welche ersten Schritte sind angesagt, wenn man sich überschuldet fühlt?
Beat Reichenbach:
Das Problem eingestehen und akzeptieren, dass man Hilfe braucht. Dann gilt es, sich der Situation zu stellen und genau hinzuschauen. Das erfordert Mut und kann mit Scham verbunden sein.
Susanne Teuscher: Häu­fig melden uns Klienten zurück: «Wieso bin ich nicht früher gekommen?

»Welche Leistungen bietet Ihre Fachstelle und wo liegen die Grenzen?
Susanne Teuscher:
Wir verfügen über ein breites Fachwissen und begleiten Familien und Einzelpersonen durch den Dschungel von Gesetzen und Willkür, aus dem Teufelskreis von Verschuldung, Entmutigung und Verarmung. Wir lehren sie, mit Finanzen umzugehen. Ohne innere Bereitschaft des Schuldners, an seinem Fehlverhalten zu arbeiten, sind unsere Möglichkeiten limitiert und Nachhaltigkeit nicht garantiert. Sollten während einer Sanierung heimlich neue Schulden angehäuft werden, kann dies ein Grund sein, das Mandat niederzulegen. Auch wer akut in einer Sucht steckt, ist bei uns an der falschen Adresse. Ein geregeltes Einkommen ist Voraussetzung für eine Sanierung.

«Ohne innere Bereitschaft des Schuldners, an seinem Fehlverhalten zu arbeiten, sind unsere Möglichkeiten limitiert.»

Beat Reichenbach: Eine Erstberatung führt noch nicht zur Zusammenarbeit. Wenn sich aus der Analyse des Gesprächs ergibt, dass eine Sanierung möglich ist, liegt es an den Schuldnern, ob sie dies mit uns angehen wollen. Wir übernehmen die Verhandlungen mit den Gläubigern und begleiten die Klienten auch hinsichtlich Abzahlungsplan. Ob private oder offizielle Schulden – wir berücksichtigen die gesamte Schuldensumme.

Was sind die grössten Herausforderungen, denen eine Person/Familie mit Schulden gegenübersteht?
Beat Reichenbach:
Unter der permanenten Anspannung leiden viele Beziehungen, man zieht sich zurück.
Susanne Teuscher: Die verschuldete Person steht in Gefahr, zu verdrängen und die Wahrheit vor ihren Nächsten zu verschweigen. Grundsätzlich führt kein Weg daran vorbei, Verantwortung zu übernehmen und transparent zu werden.

Wie können sich Personen mit Schulden vor unseriösen Anbietern schützen?
Susanne Teuscher:
Sie sollten Hilfsangebote genau überprüfen: Sind sie glaubwürdig, ist der Anbieter dem Dachverband Schuldenberatung Schweiz angeschlossen? Im Kanton Bern besteht eine Leistungsvereinbarung mit den meisten Schuldenberatungsstellen – alle haben ein Recht auf eine Beratung.
Beat Reichenbach: Verlangt ein Anbieter Vorschüsse, weist dies auf eine unseriöse Firma hin.

Kann ein Haushaltsbuch bei der Vermeidung von Überschuldung helfen?
Beat Reichenbach:
Das Führen eines (vorgedruckten) Haushaltungsbuches ist sehr zu empfehlen. Der geringe Aufwand bringt einen grossen Nutzen. Man sieht genau, wo das Geld hingeht, kann es kontrollieren und bei Bedarf etwas ändern.
Susanne Teuscher: Budget-Apps von verschiedensten Anbietern sind ebenfalls zu empfehlen.

Was sind die Risiken von Krediten und worauf gilt es zu achten?
Susanne Teuscher:
Mit der Aufnahme von Krediten sollte man zurückhaltend sein, denn es ist teures Geld. Auch Kreditkarten bergen die Gefahr, schnell hohe Schulden anzuhäufen. Daher ist es noch heute ratsam, nach dem Motto «Spare in der Zeit, dann hast du in der Not» zu handeln.
Beat Reichenbach: Kredite sind häu­fig Symptombekämpfung oder Umschuldung und lösen das Grundproblem der Verschuldung nicht.

Wie können Menschen ihre Ausgaben senken und ihr Einkommen steigern, um finanziell stabiler zu sein?
Beat Reichenbach:
Die Miete ist ein schwerfälliger Posten im monatlichen Budget. Sie sollte ein Viertel bis maximal ein Drittel des Einkommens nicht übersteigen. Auch beim Auto gibt es Sparpotenzial durch verbrauchsarme Modelle. Wirksamstes Mittel ist oft, die persönlichen Ansprüche anzupassen. Wo kann ich sparen oder Kosten reduzieren? Gibt es Möglichkeiten, mein Einkommen zu steigern, zum Beispiel meine Stellenprozente zu erhöhen?

«Wirksamstes Mittel ist oft, die persönlichen Ansprüche anzupassen.»

Welche Erfahrungen haben Sie mit Schuldensanierungen gemacht?
Beat Reichenbach:
Verschuldung hat oft auch mit unguten Gewohnheiten zu tun. Wir schaffen einen Rahmen, in dem neue Gewohnheiten eingeübt werden können. Wir beten regelmässig für unsere Klienten und erleben dabei grosse und kleine Wunder der Veränderung.
Susanne Teuscher: Schulden werfen auch existenzielle Fragen auf. Finanzielle Not kann dazu führen, dass Menschen aus dem Leben scheiden wollen. Es macht uns dankbar und lässt uns staunen, wenn Menschen neue Lebensqualität und Perspektive gewinnen.

«Wir schaffen einen Rahmen, in dem neue Gewohnheiten eingeübt werden können. Wir beten regelmässig für unsere Klienten und erleben dabei grosse und kleine Wunder der Veränderung.»

Was bedeutet Freude, was Leid in Ihrer Tätigkeit?
Susanne Teuscher:
Mich freut und fasziniert die Arbeit mit den unterschiedlichen Menschen. Wir sind am Puls der Gesellschaft und spüren, was die Menschen antreibt, wo ihre Nöte liegen. Geld steuert so manchen Entscheid des Lebens. Wir sind mit den negativen Auswirkungen der Macht des Geldes in unserer Gesellschaft konfrontiert: Druck, Gefühl von Mangel, Unehrlichkeit, Abhängigkeiten etc.
Beat Reichenbach: Ich schätze die Abwechslung und Vielschichtigkeit der Arbeit sowie den Kontakt mit den Klienten, Gläubigern und Behörden. Wir erfahren viel Vertrauen und Kooperationsbereitschaft von verschiedenen Seiten. Eine Schuldensanierung ist häu­fig kein Spaziergang, sondern für die Betrogenen eher mit einer Bergtour vergleichbar. In der Begleitung unserer Klienten über oft mehrere Jahre erleben wir die Hochs und Tiefs des Lebens nahe mit.

Wie lange arbeiten Sie bei der FSS, was gibt Ihnen die nötige Energie und wo finden Sie Ausgleich?
Susanne Teuscher:
Ich arbeite seit 17 Jahren hier. Es ist für mich noch heute eine spannende und erfüllende Aufgabe. Die Thematik ist zwar immer die gleiche, doch ist jeder Fall in sich verschieden – oft ist in der Lösungs­findung Kreativität gefragt. Das gefällt mir. Menschen auf ihrem Weg zu begleiten und etwas zu Veränderungen beitragen zu können, ist mein «Ding». Im Gebet kann ich Belastendes besprechen und weiss, Gott mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten steht hinter mir. Mein Mann und ich sind oft in der Natur unterwegs, da kann ich auftanken. Zeit mit Freunden zu verbringen, gibt mir Energie.

«Wir sind am Puls der Gesellschaft und spüren, was die Menschen antreibt, wo ihre Nöte liegen.»

Beat Reichenbach: Ich bin seit 15 Jahren bei der FSS. Seit 25 Jahren gehört mein Leben Jesus Christus, der für meine Schuld am Kreuz gestorben ist. Aus seiner Vergebung, Liebe und Beziehung mit ihm lebe ich. Er gibt mir Kraft und alles, was ich auch in meiner Arbeit benötige. Ihm vertraue ich die Anliegen und Situationen meiner Klienten an. Es begeistert mich, wenn Menschen frei von Schulden und anderen Belastungen werden. Energie und Wegweisung erhalte ich gleichzeitig durch Gottes Wort, die Bibel, sowie in unserer christlichen Gemeinde. Daneben ­ finde ich Ausgleich beim Wandern und Spazieren, in der Beziehung zu meiner Frau, meinem Sohn, Familie und Freunden.

Mehr zu Beat:

Traumberuf als Kind:
Lokführer bei der SBB

Lieblingsfach in der Schule:
Deutsch

Erstes selbstverdientes Geld:
Mithilfe in der Küche, am Buffet etc. im Familienbergrestaurant während des Winters. Ausliefern von Waren der Molkerei mit meinem Vater in den Sommermonaten.

Coolstes Gratisangebot in Thun:
Der Deutschkurs für Frauen in der FEG Steffisburg mit fünf Niveau-Gruppen jeweils am Donnerstagmorgen.

Mehr zu Susanne:

Traumberuf als Kind:
Als Kind wollte ich Bäuerin werden, in den Teenie-Jahren dann Pflegefachfrau.

Lieblingsfach in der Schule:
Turnen und Handarbeit

Erstes selbstverdientes Geld:
In meinem Ferienjob in einem Altersheim verdiente ich mein erstes Geld. Stolz erwarb ich mir einen Kassettenrekorder, womit ich endlich die Hitparade aufnehmen konnte.

Coolstes Gratisangebot in Thun:
Die vielen frei zugänglichen Badeplätze am Thunersee.

Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Hope Regiozeitung