Gott loben mit Füssen und Stimmen

Die Truppe vom «Singen und Pilgern»
Theo Handschin ist Pfarrer und Kantor im Zürcher Oberland. Schon zum dritten Mal lud er ein, Wandern und Singen zu verbinden. Zwölf Interessierte folgten ihm durchs Val Lumnezia und sangen in verschiedenen Kapellen vierstimmig Taizé-Lieder.

«Das klingt ja wie bei Jesus – er und seine Jüngerinnen und Jünger...» Ich muss schmunzeln, als ich erfahre, dass mit mir zwölf Personen zwei Tage lang pilgern und geistliche Lieder singen werden. Auch die Pfarrerin Catherine McMillen ist dabei, sie arbeitet mit Handschin zusammen. Wir sind dann auch eine sehr gemischte Gruppe, etwa zwischen 40- und 80-jährig. Die einen sind erfahrene Sängerinner und Sänger, andere bevorzugen das Wandern. Die älteste Teilnehmerin war schon auf verschiedenen Abschnitten des Jakobswegs unterwegs, andere kennen die Lieder kaum. Doch alle sind berührt, wenn wir uns in die Kuppel einer der zahlreichen Kapellen stellen und vierstimmig Gott loben.

Die Reformation ist spürbar

Die Val Lumnezia ist das grösste Seitental der Surselva und erstreckt sich von Ilanz aus südwärts. In diesem Bergtal gibt es über 30 Kirchen und Kapellen auf kleinem Raum. Die unteren Dörfer, vor allem auf der rechten Talseite, haben sich im 16. Jahrhundert der Reformation in Ilanz angeschlossen, die oberen sind katholisch geblieben. Hier hat Theo Handschin eine Route herausgesucht, die uns an zwei Tagen je etwa vier Stunden Wandern lässt. Wir werden dabei um 800 Meter auf- und 600 Meter absteigen und uns aus dem Rucksack verpflegen. In Vella übernachten wir in einem Hotel, wo auch Hunde willkommen sind. Denn die Hündin Mocca ist mit von der Partie.

Nützliches und Schönes verbinden

Theo Handschin arbeitet vier Tage pro Woche als Seelsorger in der Bahnhofskirche Zürich, dazu mit kleinem Pensum als Kantor für die reformierten Kirchen Dübendorf und Schwerzenbach. So sind es lauter Oberländer, die am Samstag den Zug Richtung Ilanz besteigen. Ein eigens bestelltes kleines Postauto bringt uns nach Pitasch – am Samstag fährt kein offizieller Bus.

Die wunderbare Schöpfung begeistert uns vom ersten Augenblick an. Viele Dörfer bestehen aus gut erhaltenen traditionellen Holzhäusern, die mit vielen Blumen geschmückt sind. Die Aussicht auf die Hügel und Landschaften ist herrlich – mein Herz geht auf über diesem Geschenk, das Gott uns vor die Füsse legt. Schon jetzt fange ich innerlich an zu singen. Ich liebe das, körperliche Aktivität mit geistlichen Aspekten zu verbinden.

Einheitliches und Unterschiede

Fast in jedem Dorf steht eine Kirche, die reformierten sind meist schlicht gehalten, manchmal wurden alte Wandgemälde offengelegt. Die katholischen weisen oft viel Dekoration auf, kunstvolles Handwerk, originelle Leuchter. Doch in allen herrscht eine wunderbare Akustik, der Raum lädt ein, Gott zu suchen. Theo singt uns die Lieder vor, stimmt die Tonlagen an, begleitet mit der Mundorgel und dirigiert. Immer mehr wachsen wir so zu einem Chor zusammen, singen gemeinsam zu Gottes Ehre.

Als wir vor einer Kirche im Schatten unser Picknick einnehmen, erkundigt sich ein Einheimischer nach unserem Ziel. Er bietet spontan Kaffee an, kommt ins Plaudern. Wir laden ihn ein, als kleines Dankeschön unserem Singen zuzuhören. Still sitzen seine Frau und er dann in der hintersten Bank. «Das letzte Lied konnte ich mitsingen», erzählt sie am Schluss. Und er findet: «Ihr könnt wunderschön singen!» Das freut besonders die unter uns, die sich nicht als Nachtigallen empfinden.

Kirche auf dem Pilgerweg

Singend beten

«Nichts soll dich ängsten, nichts soll dich quälen, wer sich an Gott hält, dem wird nichts fehlen. Nichts soll dich ängsten, nichts soll dich quälen – Gott allein genügt.» Taizé-Lieder werden mehrmals gesungen, so dringt ihre Botschaft ins Herz und begleitet mich später auf dem Weg steil den Berg hinauf oder ins Tobel hinunter. Wir singen in verschiedenen Sprachen, auch in Romanisch. Sogar das Vaterunser beten wir am Schluss abwechselnd in Deutsch und Romanisch. Einer unserer Wanderkameraden stammt aus der Gegend und spricht es für uns. Er schafft auch immer wieder die Verbindung zu Einheimischen, wenn er sie im Dialekt anspricht. So erfahren etliche, dass wir am Pilgern und Singen sind. Und wir erleben grosse Bewahrung, als ein Stein, gross wie ein Emmentaler, den Hang hinunterstürzt und zwischen uns ins Tal donnert. Hätte er jemanden getroffen, stünde uns nun eine Beerdigung bevorDankbar wandern wir weiter.

Kraftort

Es ist heiss, wir laufen oft unter der sengenden Sonne. Deshalb gönnen wir uns am Sonntag für ein Wegstück das Postauto. Oder nutzen die Dorfbrunnen für eine kurze Kneipp-Kur. Fleissig füllen wir unsere Flaschen mit dem frischen Quellwasser und trinken sie immer wieder aus. Einem unserer Wanderer wird schlecht, er muss erbrechen. Ein Dörfler bietet sofort an, ihn mit dem Auto zu transportieren, wenn er nicht mehr laufen mag. Das ist nicht nötig, doch die Geste freut uns. Ganz spontan und selbstverständlich, von Mensch zu Mensch. Von Vrin aus fahren wir mit dem Postauto wieder Richtung Ilanz und dann nach Hause. Unterwegs unterhalten wir uns über Kraftorte. Sind Kirchen welche? Nur bestimmte? Ein Teilnehmer findet, er brauche keinen Ort, er könne sich jederzeit mit Jesus treffen und dort Kraft tanken.

Wir alle haben wohl Freude und Kraft getankt während unserer Pilger- und Sing-Reise. Und einige der Lieder klingen bei mir immer noch nach.

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Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet

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