Plädoyer für eine nachhaltige Kirchenreform
Die Projektleitung der Reformierten Landeskirche Aargau hatte die Latte für die Reform hoch gesteckt (einen anderen Ansatz hat das Projekt der reformierten Landeskirche Luzern «Kirche im Dialog»): Sie hatte sieben Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten aufgefordert, Kirche neu zu denken. Allerdings von Anfang an mit der Auflage, die aktuellen Verbindungen mit dem Staat nicht in Frage zu stellen.
Auch mit dem Slogan «Wie im Himmel, so im Aargau» hatte die Kirchenleitung ein mutiges Motto formuliert. Dieser Bezug auf das Unser-Vater-Gebet weckt die Erwartung, dass die Reformierte Landeskirche im Kanton Aargau Reich-Gottes-Verhältnisse fördern will.
Zwischen radikal und angepasst
Unterdessen liegen die Ergebnisse der einjährigen Vorarbeit auf dem Tisch. Die sieben Arbeitsgruppen haben je zwei Thesen ins Gespräch gebracht. Darunter auch recht kühne Gedanken. Die Arbeitsgruppe «Inhalte und Botschaft» hielt fest: «Wenn die Reformierte Kirche Aargau es nicht schafft, ihren Fokus weg von der Institution hin zu ihrem inhaltlichen Kern zu bewegen, geht sie unter.» Die Gruppe zum Gottesdienst forderte: «Weg von der langweiligen Kanzel und hin zur wilden Diskussion. Gottesdienstbesucherinnen und -besucher partizipieren und werden so zu Teilhabenden statt zu Teilnehmenden.»
Bei den andern Thesen war zu spüren, dass sie von bereits engagierten Freiwilligen, Behördenmitgliedern und Angestellten entwickelt worden waren: Sie enthielten kaum revolutionäres Potenzial. So formulierte ein Kirchenpflege-Mitglied die durchaus nachvollziehende Forderung: «Die Kirchenpflege bekommt Zeit und Raum, sich vollumfänglich für das kirchliche Leben zu engagieren, was eine professionelle Zentralisierung aller administrativen Aufgaben bedingt.»
Dazu ist zu sagen, dass die Aargauer Kirche bereits eine Reform der Gottesdienstordnung durchgeführt hat mit viel Freiraum für die Gemeinden. Und mit einer zentralen Dienststelle werden seit einigen Jahren die örtlichen Gemeindeleitungen bei der Finanzverwaltung entlastet.
Eine Reformation der Kirche mit den Leuten durchzuführen, die diese Kirche bereits prägen, ist wohl eher utopisch. Die radikalen Äusserungen kommen von Personen und Gruppierungen, die nicht direkt in landeskirchliche Strukturen integriert sind. Das gilt auch ausserhalb des Aargaus, wie ein Blick nach Deutschland zeigt.
Abschied von der «Interessengemeinschaft Staat und Kirche»
Das deutsche Portal «neuanfang.online» hat sich von der Idee einer Weiterentwicklung der heutigen kirchlichen Strukturen verabschiedet und prognostiziert schonungslos: «Die Kirche wird verwandelt aus den Ruinen hervorgehen: kleiner, bescheidener, versteckter, ungeschützter, machtloser – dafür markanter, persönlicher, entschiedener, geisterfüllter und kraftvoller.»
Schon die ersten drei von zwölf Thesen, formuliert vom Theologen und Publizisten Bernhard Meuser, dem Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus «Youcat», fordern die Landeskirchen heraus:
- «Die Zukunft der Kirche wird in der Aufkündigung einer 1'500 Jahre alten Interessengemeinschaft von Staat und Kirche bestehen. Christentum wird eine Option sein und keine Konvention.
- Die Zukunft der Kirche wird sich aus der freien Entscheidung von Bekehrten rekrutieren.
- Die Zukunft der Kirche wird in der Überwindung der Diastase / Kluft zwischen einer passiven Zuschauerkirche und einer sie betreuenden Profikirche bestehen – und sie wird ein neues Miteinander von Laien und Klerikern mit sich bringen.»
Andere deutsche Stimmen betonten nebst der Loslösung der Kirchen aus der Verstrickung mit dem Staat den Glauben als persönliche Beziehung der Gläubigen zum dreieinen Gott als wichtige Voraussetzung für eine lebendige Kirche. Die heutigen Landeskirchen müssten aus Rücksicht auf die gewünschte theologische Breite innerhalb der Gemeinden auf diese Basis verzichten und auf eine «bessere Gesprächskultur» setzen.
Das Portal «neuanfang.online» bringt seine Sicht so auf den Punkt: «Die Kirche der Zukunft wird evangelikal-katholisch sein ... und sie wird das Evangelium als Kraft entdecken.» Oder aber: «Die Landeskirchen werden freikirchlicher und missionarischer – oder sie schaffen sich längerfristig ab.» Meuser spricht von einer «neuen Ökumene: Sie wird das Miteinander in Abgrenzungen durch ein einladendes Miteinander im jetzt schon Möglichen ersetzen und die Ökumene am grünen Tisch überholen durch Gemeinschaft im Gebet, Hören auf das Wort Gottes, durch Erhabenheit von Liturgien und das Mitreissende von Lobpreis, durch Verehrung des Heiligen, durch selbstvergessene Anbetung…»
Die Sehnsucht wecken
In eine ähnliche Richtung gehen die «10.5 Thesen» des lutherischen Pfarrers Jonas Goebel, der auch Jugendliche ansprechen will. Er schreibt: «Wir werden missionieren und missioniert werden. Die Kirche der Zukunft ist keine Landes-Kirche, wie wir sie heute kennen. Sie ist keine Mehrheitskirche. ... Vielleicht wird man eines Tages über die gelungene Transformation schreiben und berichten. Bis dahin werden wir uns (schmerzhaft) eingestehen, dass wir nicht der Nabel der (theologischen) Welt sind. Ganz im Gegenteil: Wir werden viel von Christen und Kirchen aus anderen Ländern lernen.»
Letztlich stellt sich die Frage: Was könnte denn die Kirche für die Menschen von heute wieder attraktiv machen? Könnte es die Analogie zum berühmten Zitat von Antoine de Saint-Exupéry sein, der die Sehnsucht nach dem weiten Meer als Motivation für das Erlernen des Schiffsbau-Handwerks unterstrichen hat?
Angewandt auf die heutige Kirche könnte das heissen: Die Kirchenmenschen müssten in der Lage sein, die Sehnsucht nach der Realität des Reiches Gottes zu wecken. Und radikal auf die neutestamentlichen Kernworte zum Einstieg in den persönlichen Glauben hinweisen. Als Tor zu einer ungeahnten neuen Welt für alle, die im Reich Gottes, das bereits «unter uns» ist, mitwirken wollen. Für Menschen, die an einer solidarischen Gemeinschaft teilnehmen wollen, die Freud und Leid in Gruppen und im grossen festlich geprägten Gottesdienst miteinander austauscht.
Ob das auch eine Leitlinie für die Aargauer Landeskirche sein könnte?
Dieser Artikel erschien zuerst beim Forum integriertes Christsein
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