10 Dinge, die Pastoren nicht können
«Kannst du mal eben schnell…?» Diese Frage hört Sandra als junge Pastorin in ihrer Gemeinde häufig. Sie erreicht sie nach dem Gottesdienst oder während ihrer Bürozeit, abends nach Feierabend oder auch an ihrem freien Tag. Manchmal tut ihr das gut, und manchmal nervt es extrem. Sie will ja für andere da sein, aber rund um die Uhr? Und was ist mit all den Dingen, die sie nicht kann – oder jedenfalls nicht so gut wie andere? Im Studium hat sie Exegese gelernt und Hebräisch, sie kommt auch gut mit einer Trauung oder Beerdigung klar, doch mit den Erwartungen anderer Menschen hat sie so ihre Schwierigkeiten. Oder sind es ihre eigenen Erwartungen, die ihr Probleme bereiten?
Wenn Micha an seinen Pastor denkt, seufzt er manchmal leise. Okay, manchmal seufzt er auch laut. «Da bezahlen wir ihn als Gemeinde schon, damit er die Gemeindearbeit macht, aber er grenzt sich so oft ab. Für das eine fühlt er sich nicht zuständig und das andere kann er zwar, aber er tut es nur selten.»
Willkommen im Gemeindealltag!
Was für viele typisch oder katastrophal klingt, ist in Wirklichkeit der ganz normale Umgang mit Erwartungen. Da gibt es berechtigte und überzogene Erwartungen – sowohl von Seiten einer Kirchengemeinde als auch von Pastorinnen und Pastoren selbst. Das «Sie müsste doch eigentlich…» der Gemeinde klingt in Sandras Kopf oft als «Ich müsste doch als gute Pastorin…» ganz ähnlich. Dabei ist es normal, mit Grenzen zu leben. Das funktioniert allerdings nur, wenn darüber gesprochen wird. In solchen Gesprächen lassen sich dann die falschen Erwartungen beider Seiten ausräumen. Manches dabei lässt sich nicht verallgemeinern: Es gibt Pastoren, die sind Organisationstalente, und es gibt kreative Köpfe, die sich am besten nicht um Anmeldelisten kümmern sollten. Typische Beispiele für Erwartungen, die immer falsch sind, sind die folgenden:
10 Dinge, die Pastoren nicht können
1. Gedanken lesen. Bei Licht besehen, ist das allen klar, doch tatsächlich erwarten viele, dass ihre Pastorin oder ihr Pastor sie versteht, ohne dass sie mit ihr oder ihm gesprochen haben.
2. Alle zufriedenstellen. Das ist besonders problematisch, wenn der Pastor ein «People Pleaser» ist, ein Harmoniemensch, der es allen recht machen will. Doch niemand ist zu allen gleich kompatibel oder kommt mit seiner Persönlichkeit, seinem Predigtstil oder seiner Art zu leiten bei jedem gut an.
3. Überall gleichzeitig sein. In der Summe ist ein Arbeitstag sehr lang, an dem man ein Dutzendmal «nur eben schnell» etwas erledigt hat. Gemeinden, die so etwas erwarten, sehen in ihrem Pastor eher einen Diener als einen Angestellten. Pastoren, die so etwas versuchen, tun sich oft schwer damit, Dinge aus der Hand zu geben.
4. Sündlos oder fehlerlos leben. Was niemand sonst schafft, bekommen auch Gemeindeleiter nicht hin. Ihr Vorbild-Sein können sie allerdings darin entfalten, wie sie damit umgehen.
5. Die Gemeinde vergrössern. Gemeindewachstum ist ein spannender Prozess, der auch, aber eben nicht nur am Pastor hängt. Schuldzuweisungen oder überhaupt ein mechanistisches Gemeindebild («Hättest du gebetet, wäre sie gewachsen.») werden der Realität nicht gerecht.
6. Alles wissen. Keine Pastorin hat die Antwort auf alle Fragen – weder auf theologische noch auf gemeindliche. Selbst wenn sie dazulernt, wird das so bleiben.
7. Menschen verändern. Gemeinde lebt davon, dass die Menschen darin Gott begegnen und sich dadurch verändern lassen. Doch das war und bleibt Gottes Sache – weder vollmächtige Predigten oder Personen ändern etwas daran.
8. Alles sagen, was man denkt. Jeder Pastor sollte denken, bevor er etwas sagt, und das meinen, was er sagt, doch er muss natürlich nicht alles öffentlich machen, was er von einzelnen Themen hält. Das tut niemand – und in einer öffentlichen Rolle kann es besonders polarisierend oder verletzend wirken.
9. Ohne Bevorzugung durchs Leben kommen. Ein Pastor ist für alle seine Gemeindeglieder da, allerdings ist es normal, dass er zu einigen einen besseren Draht bekommt oder enger mit ihnen befreundet ist. Günstlinge sollten es nicht werden, aber besondere Beziehungen zu einzelnen sind normal.
10. Vollkommen sein. Die ganzen aufgezählten Punkte und diejenigen, die noch fehlen, drehen sich um die Erwartung, dass der Pastor oder die Pastorin vollkommen sein sollte – jedenfalls etwas vollkommener als man es selbst ist. Doch gerade das, was sie nicht können, bietet den Raum für Gnade, persönliche Weiterentwicklung und die Ergänzung durch andere, denn Gemeinde entwickelt sich erst in einem Miteinander weiter, das mit erfüllten und enttäuschten Erwartungen gut umgeht.
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