Ein Tag mit meinem Freund
An vier Tagen in jedem Jahr stehe ich um vier Uhr morgens auf und fahre 200 Kilometer zu einer Kleinstadt an der kanadisch-amerikanischen Grenze. Um acht Uhr komme ich dort an und treffe einen Mann, der eine ähnliche Strecke aus der entgegengesetzten Richtung hinter sich hat. Diese regelmässigen Treffen sind weder geschäftlich noch einfach so zum Spass. Hier geht es um die Pflege einer christuszentrierten Freundschaft, von der wir glauben, dass Gott sie zwischen uns vor 35 Jahren in Bewegung gesetzt hat. Kürzlich erwähnte ich diese Treffen einer kleinen Gruppe von Leitungspersonen gegenüber, und einer von ihnen sagte: «Ich würde alles dafür geben, so eine Freundschaft zu haben. Wie machst du das? Was macht ihr an diesem gemeinsamen Tag?» Und ich erzählte es ihm...
Mein Freund und ich treffen uns jedes Mal in einem Restaurant in der Stadt. Nachdem wir Kaffee und Sandwiches fürs Frühstück bestellt haben, suchen wir uns einen Tisch in einer Ecke und bringen uns gegenseitig auf den neuesten Stand darüber, was in unserem Leben gerade los ist (Wie geht es dir gesundheitlich? Wie war dein Urlaub? Warst du bei diesem Hockeyspiel? Machst du diese Reise nach Europa?). Danach geht unser Gespräch schnell in die Tiefe. Zum Beispiel: Familienleben. Wir fragen uns zuerst gegenseitig nach unseren Ehefrauen, weil wir die Frauen von Herzen lieben, die wir geheiratet haben. Sie sind kluge, gottesfürchtige Frauen mit faszinierenden Leben, die wir beide respektieren und bewundern. Wir sprechen darüber, was sie tun, um Romantik und geistliches Leben in unserem Zuhause zu wecken. Während wir beiden Freunde diesen Tag zusammen beginnen, wissen wir, dass diese von uns geliebten Frauen gerade zu Hause sind und dafür beten, dass wir einen heiligen Tag haben. Sie beten dafür, weil sie die Theorie haben, dass wir von diesen Treffen am Ende des Tages als bessere Männer zurückkehren.
Enttäuschungen, Hoffnungen, Träume
Danach sprechen wir über unsere erwachsenen Kinder und ihre Partnerinnen und Partner. Alle diese Kinder folgen Jesus treu nach. Wir erfreuen uns sehr daran und lieben es, über sie zu sprechen. Es folgt ein Gespräch über unsere Enkelkinder. Wenn jemand diesem Gespräch zuhören würde, würde diese Person schnell erkennen, dass wir stolze Grossväter sind. Während der Morgen und seine Gespräche dahinfliegen, wendet sich die Konversation gemeinsamen Freunden zu. Manchmal gibt es traurige Neuigkeiten über Krankheit oder Lebensereignisse, die sich nicht gut entwickelt haben. Aber wir können auch immer viel darüber erzählen, wie der Himmel unsere Freunde gesegnet hat. Wir freuen uns darüber, wenn wir gute Neuigkeiten über die Menschen teilen können, die einen positiven Beitrag zum Reich Gottes leisten.
Und schliesslich, am Ende unseres Austausches über Fakten und Berichte über Menschen und Ereignisse in unserem Leben, kommen wir zu uns beiden, die auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückblicken. Wir fragen: Was für besondere Freude haben wir erlebt? Wo war Gott grosszügig? Was haben wir gelernt? Welche Enttäuschungen, welche Kämpfe, welche Gefühle gibt es da, die aufgedeckt werden müssen? Wo hat Gott uns geprüft? Welche Hoffnungen? Welche Träume? Welche Gedanken? Wir fragen einander, was wir über Jesus gelernt haben, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Welche Abschnitte der Bibel haben uns am meisten herausgefordert oder inspiriert? Welche neuen Ideen haben wir aus der Bibel gezogen? Welche Verse waren für uns verwirrend oder stärkend? Es kommt zu einem schnellen Schlagabtausch, während unser Gespräch weiterfliesst und wir gegenseitig unseren Entdeckungen lauschen. Wir stellen Fragen, schlagen alternative Blickwinkel vor, bieten kleine Kurskorrekturen in unserem Denken an. Dann folgt ein Austausch über die Bücher, die wir gelesen haben. Welche Autorinnen und Autoren haben unser Denken beeinflusst? Hat jemand davon uns wütend gemacht, erneuert, neu ausgerichtet? Welche Autoren bieten neue Blickwinkel auf das, was Gott in der Glaubensgemeinschaft tut? Wir weisen uns oft gegenseitig auf Artikel und Essays hin, die über Probleme und Herausforderungen in unserer Gesellschaft sprechen.
Ich kann euch sagen, wenn wir die letzte Stunde unserer gemeinsamen Zeit erreicht haben, sind unsere Gedanken und Herzen bis an die Oberkante gefüllt. Wenn es Zeit wird, das Restaurant zu verlassen und uns wieder auf den Weg nach Hause zu machen, suchen wir uns ein Plätzchen, an dem wir uns gegenseitig Jesus anbefehlen können. Es gibt eine Umarmung, ein Gebet, einen Kommentar darüber, wann wir uns das nächste Mal treffen. Und dann fahren wir los. Der Mann, der die Frage zu diesen Treffen stellte – «Was tut ihr als Freunde den ganzen Tag?» – bedankte sich und wiederholte seine vorherige Aussage: «Ich wünschte, ich hätte auch so eine Freundschaft.» Einige andere in dem Raum nickten. Und ich sage zu der Gruppe das, was meine Frau Gail so oft zu mir sagt: «Wenn du Freundschaften haben willst, beginne damit, selbst ein Freund zu sein.» Ergibt das Sinn? Diesen Artikel widme ich meinem kanadischen Freund, Glenn Smith.
Dieser Artikel erschien im Magazin Aufatmen 4/2023 des SCM Bundes-Verlag.
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