«Von guten Mächten wunderbar geborgen»?
Schon Weihnachten selbst war alles andere als romantisch, weder still noch heilig, das ist gut zu wissen. Das Baby Jesus kam in rauer Zeit und gegen Widerstände auf die Welt. Es war, als wenn die gekreuzten Hölzer der Krippe ihm wie den Eintritt in die Welt verwehren wollten. Aber er musste geboren werden. Gott wollte Mensch werden. Die Welt musste erlöst werden, mit oder ohne Romantik.
Fast 2000 Jahre später
1944: In Deutschland sitzt der Theologe Dietrich Bonhoeffer im Gestapo-Gefängnis. Drei Monate zuvor hatte er sich verlobt, und niemand wusste, wie sein Schicksal ausgehen würde. Am 19. Dezember, vor 75 Jahren, schreibt er seinen letzten Brief an seine Verlobte. Das Gedicht «Von guten Mächten wunderbar geborgen» war ein Teil dieses Briefes und hat es zum Klassiker des Kirchengesangbuchs gebracht. Bonhoeffer war gefoltert worden und musste mit seiner Hinrichtung rechnen; das Lied war etwas wie «Weihnachtsgabe und Abschiedsgeschenk für seine Familie» (Domradio).
Wenn Hoffnung wirklich etwas kostet
Für die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist es gut, sich darauf zu besinnen: worauf baue ich mein Leben? An was für einen Gott glaube ich? Die leicht süssliche Weihnachtsstimmung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass für viele Menschen auf der Welt der Glaube eine existentielle Sache ist. Wenn einer im Gefängnis sitzt und ihm vielleicht alle Glieder wehtun, dann bekommen solche Verse wirklich Wert: «Von guten Mächten wunderbar geborgen / erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, / und ganz gewiss an jedem neuen Tag.»
Heil für unsre aufgescheuchten Seelen
Schauen wir in die Welt hinein: trotz – oder gerade wegen – des Glaubens sind Schmerzen, Folter und Tod möglich. «Worshippen» wir uns nicht darüber weg. Ängste, Schmerzen und Sorgen sind Realität: «Noch will das Alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach, Herr, gib unsren aufgescheuchten Seelen das Heil, für das du uns bereitet hast.»
Bonhoeffer wusste, dass es ganz, ganz ernst werden kann: «Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern / aus Deiner guten und geliebten Hand.»
Aktiver Glaube
Das Lied ist Bonhoeffers letzter erhaltener theologischer Text vor seiner Hinrichtung. Er wurde aus Glaubensgründen umgebracht – sein Glaube sagte ihm, dass Widerstand gegen das Hitler-Regime nötig war. 1940 schrieb er in seiner Ethik, dass seine Kirche versagt hatte: «Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie.»
Er wurde des Hoch- und Landesverrats beschuldigt, in zwei berüchtigte Gefängnisse und in zwei Konzentrationslager verbracht. Im KZ Flossenbürg wurde er am 9. April 1945 hingerichtet.
Kein Opium
Der christliche Glaube ist kein Opium. Er ist keine Verdrängung, sondern eine Bewältigung des Schweren. Und er funktioniert nicht nur, wenn die Sache dann doch wieder gut wird. Vor und nach Bonhoeffer haben es Tausende von Christen erlebt – auch am Weihnachtsfest 2024 – dass man auch im tiefen Elend an Gott festhalten kann. Aus gutem Grund: Er ist dem Schicksal, das viele seiner Nachfolger erleiden müssen, selbst nicht ausgewichen. Jesus trank den Kelch Gottes «bis zur bitteren Neige» aus. Wie am Anfang, stehen auch am Ende seines Lebens zwei gekreuzte Balken.
Aber der Tod ist nicht alles. Er hat nicht das letzte Wort. Das irdische Leben mag gewaltsam abgekürzt werden, aber was danach kommt, kann einem niemand nehmen. «Es ist ein grosses unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat» schrieb Bonhoeffer in seinem Brief. Dieses Reich ist am Wachsen. Und das Beste kommt erst noch.
Zum Thema:
Glaube entdecken: Gott persönlich kennenlernen
Schwere Stunden: Wenn man mit Weihnachten nichts anfangen kann
Mehr als ein Lied: Die Bonhoeffer-Perspektive