Menschen mit einem anderen Betriebssystem
Menschen sind unterschiedlich. Das ist altbekannt. Und dann gibt es noch Menschen, die von ihrem Umfeld als anders wahrgenommen werden, weil ihre Unterschiedlichkeit in besonderem Masse auffällt. Viele Menschen leiden unter ihrem Anderssein.
Es gibt verschiedenste Gründe und Arten von Anderssein. Eine davon wurde in den vergangenen Jahren zunehmend thematisiert. Es handelt sich um autistisch wahrnehmende Menschen. Man spricht auch von ASS-Betroffenen (d.h. Personen mit Autismus-Spektrum-Störung). Darunter fallen auch Menschen mit dem Asperger-Syndrom. Die Vineyard Bern hat eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Menschen mit dem Asperger-Syndrom, welche für Livenet eine Gesprächsrunde mit Betroffenen und Angehörigen organisierte.
Was ist das Asperger-Syndrom
Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben Schwierigkeiten damit, die vielen Impulse und Reize richtig auszuwerten. Dies zeigt sich besonders in der zwischenmenschlichen Interaktion. Neben der sachlichen Ebene von Gesprächen auch Tonfall, Mimik und Gestik zu interpretieren, kann überfordern. In grossen Menschenmengen kann die Reizüberflutung anstrengen und so ziehen sie sich oft (in sich selbst) zurück und ziehen ruhige Orte vor.
Ein Problem mit der Intelligenz haben die Asperger (wie sie landläufig oft genannt werden) nicht. Ihre Intelligenz zeigt sich oft in ihren Lieblingsthemen, wo sie zu Höchstleistungen auflaufen können – und wenn sie ein hohes Mass an Intelligenz haben, erscheinen sie in ihren Bereichen oft sogar als Genies. Sie denken logisch, fokussieren sich stark und übersehen viele alltägliche Details, was bei ihren Mitmenschen zu Irritation führen kann. Des Öfteren wird gesagt, dass Menschen mit dem Asperger-Syndrom so etwas wie ein anderes Betriebssystem haben. Das könnte als Bereicherung betrachtet werden; da es sich aber um eine Minderheit handelt, mit welcher die alltägliche Kommunikation erschwert ist, wird das Asperger-Syndrom oft als Beeinträchtigung angesehen.
Das Asperger-Syndrom zeigt sich jedoch sehr unterschiedlich. Kein Betroffener ist gleich wie der andere. Gemeinsam haben sie letztlich alle, dass sie die Welt anders wahrnehmen als andere Menschen. Das führt zu zwischenmenschlichen Herausforderungen, Missverständnissen und letztlich oftmals zu Leid.
«Keine Ahnung, ob Menschen mich mögen»
«Am ersten Kindergartentag wurde ich von einem Kind zusammengeschlagen», berichtet ein Betroffener. «Ich weiss nicht, warum.» Solche Erfahrungen sind zeichnend. Wenn Mitmenschen ohne ersichtlichen Grund ablehnend oder aggressiv reagieren, ist das irritierend. Für Menschen mit Asperger wirken andere oft als Bedrohung. Für sie sind Menschen genauso irritierend, wie sie auf andere wirken. Doch sie sind alleine und fühlen sich anders, fremd. Bei den meisten Aspergern gehört die Erfahrung, gemobbt oder zurückgewiesen zu werden, zum Leben dazu. «Ich verstehe oft nicht, ob es jemand gut mit mir meint oder nicht», sagt jemand. Das führt zu Unsicherheit und Misstrauen. Unter anderem in der Partnersuche führt dies zu Schwierigkeiten. «Ich konnte nie erkennen, ob eine Frau mir gegenüber Zuneigung empfand», berichtet jemand, der erst Mitte 40 seine Frau gefunden hatte, über seine lange Singlezeit. «Das war wohl meine grösste Leidenszeit.»
Dazugehören oder nur dabei sein?
In Gruppengesprächen ist es für Asperger manchmal schwierig, sich zu beteiligen. Gewisse zwischenmenschliche Aspekte verstehen sie nicht; das ist unangenehm. Für sie müssen Informationen aufgenommen, ausgewertet und das Wesentliche erkannt werden – und dann gilt es auch noch, dem Gespräch nicht hinterherzuhinken. Niemandem ist es möglich, sich alle Informationen zu merken. Für Menschen mit dem Asperger-Syndrom besteht die Schwierigkeit, die wirklich wesentlichen Informationen zu erkennen. Worauf der Fokus liegt, das bleibt hängen. Oder, wie es ein Betroffener selbst ausdrückt: «Was mich nicht wirklich interessiert, kann ich mir kaum merken.» Wenn es um Verabredungen oder andere organisatorische Dinge geht, stellt er öfters fest, wie er gewisse Infos «verpasst» hat.
«Ich frage mich oft, ob ich bei einer Gruppe wirklich dazugehöre oder nur dabei bin.» Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit bleibt oft ungestillt und wenn dann noch die «Du bist halt Asperger»-Keule geschwungen wird, kann dies schon verstanden werden wie ein «Du bist nicht so wie wir. Du bist anders.» Traurigerweise kommen hier zu den Schwierigkeiten mit der zwischenmenschlichen Kommunikation noch die Verletzungen wiederholter Ablehnung dazu. So wird es immer schwieriger und die Angst vor Ablehnung immer grösser. Rückzug und Einsamkeit können die Folgen sein.
Gedankenanstösse zu einem gelingenden Umgang mit Menschen mit dem Asperger-Syndrom in der christlichen Gemeinde finden sich in einem weiteren Artikel, der in den kommenden Tagen bei Livenet erscheint.
Rückmeldungen und Fragen zum Thema dürfen gerne an asperger@vineyard-bern.ch gerichtet werden.
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