«Wir dürfen stolz sein auf unsere Stadt»

Maria Pappa
Maria Pappa ist kürzlich als Stadtpräsidentin von St. Gallen wiedergewählt worden. Sie teilt ihr Herz für eine Stadt mit Charme und für Menschen in schwierigen Verhältnissen, und erzählt von einem schweren Verlust, der ihr Leben geprägt hat.

Politik habe sie ursprünglich nicht gross interessiert, sagt Maria Pappa. Aber schon als sie noch Sozialpädagogin und im Berufsverband der Sozialarbeit aktiv war, trieben sie grosse Fragen um – etwa, wo eine Gesellschaft Prioritäten setzt und wofür sie Geld investiert. «Damals zeigte ich den Studierenden die Bedeutung des sozial- und berufspolitischen Engagements auf. Ich selbst aber tat es nicht.» Diese Einsicht gab den Ausschlag, dass sich die Tochter von italienischen Einwanderern einbürgern liess und sich auf die Suche nach einer passenden Partei machte.

Bei der SP riet man ihr, sich bei den anstehenden Wahlen fürs Stadtparlament direkt auf die Liste setzen zu lassen, um durch den Wahlkampf die Partei und die Köpfe dahinter kennenzulernen. Das war 2012. Maria Pappa rechnete nicht mit einer Wahl, doch unversehens landete sie im St. Galler Stadtparlament. «Ich wurde als Nichtschwimmerin ins Wasser geworfen», erinnert sie sich. In regelmässigen Abständen von jeweils vier Jahren folgten die Wahl in den Stadtrat und schliesslich ins Stadtpräsidium. Auch das kam für die heute 53-Jährige eher überraschend zustande: «Ich ging mit einem klaren inneren Nein zu einem letzten Gespräch mit der Findungskommission – und sagte dann nach zehn Minuten plötzlich: ‹Gut, ich mache es.› Mir war, als sagte mir eine innere Stimme deutlich: ‹Maria, mach den Schritt! Du musst diesen Weg gehen. Das wird für dich wichtig sein.›»

Vom Wert einer Schokoladentafel

Noch heute ist der Leiterin der Direktion Inneres und Finanzen eine faire Ressourcenverteilung wichtig. Nach ihren Werten gefragt, berichtet sie: «Als im Rahmen von Sparmassnahmen zur Debatte stand, die jährliche Verteilung von Schokoladentafeln in den städtischen Altersheimen zu streichen, wehrte ich mich dagegen. Im Vergleich zu den geringen Kosten ist der Wert dieses Zeichens für viele ältere Menschen überaus gross.» Überhaupt stört sich Maria Pappa daran, dass oft auf dem Buckel derjenigen gespart werde, die nicht auf der Sonnenseite stehen, etwa Angestellte in Tieflohnbranchen.

Vom Wert eines – auch kurzen – Lebens

Ein Schatten in Pappas eigenem Leben ist der Tod ihrer sechsjährigen Schwester. Sie verstarb innert eines halben Jahres nach einer Krankheitsdiagnose. Maria Pappa war 17 und erstmals direkt mit dem Tod konfrontiert. «Das war eine sehr schwierige Zeit und natürlich stellten wir uns als Familie die Warum-Frage. Erst später erkannte ich, dass dies vielleicht nicht die richtige Frage war. Es half mir, stattdessen zu fragen, was das Leben meiner Schwester, so kurz es war, verändert und bewirkt hat.»

Tatsächlich fand Maria Pappa im Verlauf der Zeit gewisse Antworten auf die Frage nach dem Sinn. Beispielsweise, dass die Geburt der kleinen Schwester die Familie zu einem Umzug bewegt hatte, der ihr eigenes Leben positiv beeinflusste. Oder dass sie die Angst vor dem Tod verlor, weil sie zum Schluss kam: «Wenn meine Schwester das überstanden hat, dann schaff e ich das auch.» Schliesslich wurde durch den Verlust die Frage virulenter, was ihr wichtig ist im Leben. Maria Pappas Antwort war nicht zuletzt ausschlaggebend für ihre weitere Berufswahl: «Es geht im Leben nicht bloss darum, zu geniessen, sondern auch herauszufinden, wofür ich eine Leidenschaft habe, und dort etwas zu bewirken.»

Vom Wert des Glaubens

Dass dies mehr als schöne Worte sind, zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Katholikin seit mittlerweile 30 Jahren regelmässig als Lektorin in der Kathedrale anzutreffen ist. Obwohl der christliche Glaube für sie seit jeher zum Leben gehört, ist das nicht selbstverständlich. Maria Pappa betrachtet die Kirche bis heute auch kritisch. Bei ihrem Entscheid für das kirchliche Engagement dachte sie sich: «Wenn ich selbst aktiv werde, erlebe ich die Kirche vielleicht anders.» Und genau so kam es.

Gottesdienste, die ihr als junge Frau wenig sagten, wurden bedeutungsvoll und zu Momenten der Ruhe und Besinnung. Ihr ist wichtig, zweierlei zu unterscheiden: Da sei einerseits die katholische Kirche mit ihrem patriarchalen System und Nachholbedarf in verschiedenen Themen wie der Stellung der Frau. Andererseits erlebe sie die Pfarrei in St. Gallen als offen und einladend. «Glauben kann man nicht befehlen oder aufzwingen. Da hat die Kirche in der Vergangenheit Fehler gemacht. Aber sie kann heute nach wie vor eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen, indem sie den Menschen begegnet und zuhört.» Maria Pappa ist überzeugt, dass viele sich nach Orientierung und einer Verwurzelung sehnen, welche die Kirche bieten kann.

Vom Wert der Demut

Für sie selbst sei der Glaube eine Möglichkeit, Kraft zu tanken, aber auch sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, die Werte und Motive hinter ihren Entscheidungen zu hinterfragen: «Habe ich das Wohl der Stadtbevölkerung im Blick oder meine eigenen Interessen?» Das Wohl der Stadt, «ihrer Stadt», wie sie sagt, liegt ihr am Herzen. Sie setze sich für Lösungen ein, die für die Mehrheit gut sind und die Minderheit berücksichtigen. Sie, die in St. Gallen geboren und aufgewachsen ist und nie länger als einen Monat weg war, spricht nicht ohne Stolz über ihre Heimat. Wenn sie in anderen Schweizer Städten unterwegs sei, falle ihr manchmal auf, dass «wir eine sehr schöne Stadt haben und uns für unsere Stadt nicht schämen müssen». Doch die Gefahr, überheblich zu werden, besteht nicht. Angesichts der weltpolitischen Herausforderungen rät die St. Galler Stadtpräsidentin im Gegenteil zu mehr Demut: «Wir Menschen sollten uns bewusst sein, dass wir Gäste auf dieser Erde und von ihr abhängig sind – und nicht umgekehrt.»

Zur Person:

Was bringt Sie zum Lachen?
Ich lache viel, auch in stressigen Situationen. Es sind manchmal Kleinigkeiten, wie ein Gesichtsausdruck oder eine Reaktion eines Menschen.

Worüber denken Sie oft nach?
Über den Sinn des Lebens; über die Menschheit und ihre Schattenseiten; wie die Menschen im Grossen und im Kleinen sich positiv weiterentwickeln können.

Was würde uns an Ihnen überraschen?
Meine manchmal unkonventionellen Handlungen und meine Freude an Gesellschaftsspielen.

Was möchten Sie gern erleben?
Der ersten Päpstin begegnen.

Autor: Daniela Baumann
Quelle: Hope Regiozeitung