Wir sterben innerlich, wenn wir nirgends ankommen
Cappuccino mit Zimt, bitte. Ich atme ein – ich atme aus. Inhale – exhale. Das Jahr neigt sich rapide dem Ende. Ich werde nachdenklich, resümiere, reflektiere. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin in diesem Jahr gar nicht richtig angekommen… Und in wenigen Tagen ist es vorbei. Seltsam.
Heisser Schlitten & Opa im Heim
Was heisst «ankommen» eigentlich? Da sein? Präsent sein? Ankommen kann bedeuten, wirklich räumlich an einem Ort anzukommen. Sowas wie «Schatz, rufst du kurz an, wenn du mit dem Auto angekommen bist?», oder: «Das Navi sagt, wir werden in drei Stunden ankommen.» Ankommen kann bedeuten, dass jemand oder etwas deinen Geschmack trifft – dir etwas gut gefällt. Sowas wie: «Wow, sieht toll aus, dein heisser Schlitten, damit wirst du gut ankommen!», oder: «Deine Mucke kommt echt gut (an) mit der neuen Soundanlage.» Ankommen kann auch bedeuten, dass etwas von einer Person oder einer Sache abhängt. Sowas wie: «Ob ich noch auf einen Drink mit hochkomme, kommt echt drauf an, ob der Typ in dem heissen Schlitten diesen nicht von Papi geliehen hat», oder: «Wir lassen die Entscheidung, ob Opa ins Heim geht, darauf ankommen, ob wir seinen alten Benz erben.» Armer Opa.
Alles schön und gut. Aber: Ich finde, Ankommen hat noch eine weitere Dimension, die das Internet in der ersten Recherche so nicht ausspuckt: gefühltes Ankommen! Ist das zu feminin? Wegen «Gefühl» im Satz? Kennst du so Aussagen wie «Ich habe das Gefühl, ich bin so wirklich angekommen!»? Und dann schaut man so glücklich in die Ferne, sagt diesen Satz ganz sentimental langsam oder legt sogar die Hand aufs Herz. Dann geht es um etwas tief Bewegendes. Ich sage das so nicht, wenn ich vom Einkauf wieder nach Hause komme. Jetzt muss ich lachen, denn das stelle ich mir gerade vor… Es betrifft eher Dinge wie eine Beziehung, einen Beruf oder eine Berufung zu leben, eine (Lebens-)Rolle oder einen besonderen Ort, wo du dich tief zu Hause fühlst.
Die Seele muss nachkommen
Apropos: Wir sind in diesem Jahr als Familie umgezogen. Von der engen Grossstadt aufs weite Land. Krasser noch: In die am wenigsten besiedelte Gegend in der gesamten Republik. Ankommen hat mich in diesem Jahr ganz praktisch beschäftigt. Physisch waren wir schnell da. Mental war ich aber noch lange nicht angekommen. Die Kinder auch nicht. Heiko auch nicht. Auch wenn er tendenziell viel schneller irgendwo ankommt, weil er eine ganz andere Persönlichkeit besitzt als ich. Dazu vielleicht mal eine ganz eigene Kolumne. Alles hat seine Zeit gebraucht. Es fühlte sich so an, als ob meine Seele zunächst in Berlin geblieben war. Sie liebt dort die Zweitwohnung und pendelt nun hin und her. Und weisst du was – es ist in Ordnung. Denn an den Orten, an denen du einmal angekommen bist, bleibt immer ein Teil von dir zurück. Denn wir hinterlassen Spuren an den Orten sowie bei den Menschen, wo wir uns als einzigartige Person und mit unserem Tun verwurzelt haben.
In Berlin habe ich mich (sehr) oft geärgert, weil Pakete durch Zustelldienste nicht bei mir angekommen sind. Da ist es schon wieder, das Wort. Ankommen. Hier auf dem Land grüsse ich den Postboten und wir quatschen über Gott und die Welt. Auf dem Dorf hatte er schnell bemerkt, dass hier eine neue Familie angekommen, also zugezogen ist. Ankommen heisst für mich, sich emotional auf etwas oder jemanden einzulassen. Beseelt zu sein. Nicht mehr suchend. Verbunden mit einem inneren Frieden und einem wohltuenden Zur-Ruhe-Kommen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Ja, denn es ist ein schöner Gedanke und es löst Wärme in mir aus. In dieser kalten Jahreszeit besonders angenehm. Was heisst denn Ankommen für dich persönlich? Bist du angekommen? Und wo? Hat es nicht irgendwie viel mit Sehnsucht und Bedürfnissen zu tun? Damit, Teil von etwas zu sein?!
Grundbedürfnis Zugehörigkeit
Sich dazugehörig zu fühlen, ist übrigens eines der absoluten Grundbedürfnisse von uns Menschen. Für Säuglinge ist es entscheidend und lebensnotwendig, nicht nur in Bezug auf die Nahrungsversorgung, sondern für den Aufbau von Bindung, Vertrauen ins Leben und die immense Liebe, die für ihr Überleben unerlässlich sind. Ein bekanntes, gruseliges Experiment ist der Kaspar-Hauser-Versuch, bei dem Babys in einem Waisenhaus zwar körperlich versorgt wurden, jedoch keinerlei Kommunikation oder Zuneigung erhielten. Das Ergebnis war, dass alle Babys starben! Deutlicher geht es kaum: Diese Babys konnten emotional nicht ankommen – sie fanden keinen emotionalen Halt. Die Versorgung aller körperlichen Bedürfnisse reicht eben einfach nicht aus, um zu (über-)leben. Auch für uns als Erwachsene nicht. Wir sterben möglicherweise keinen physischen Tod, aber ich bin davon überzeugt, dass es innere Anteile gibt, die stark dürsten, ständig suchen oder gar verkümmern, wenn wir nicht irgendwo dazugehören. Wir sterben einen inneren Tod, wenn wir nicht irgendwo wirklich angekommen sind.
Herzenssehnsucht nach Ankommen
Das spricht für die grösste Sehnsucht, die Gott uns ins Herz gelegt hat: bei ihm anzukommen. Ihm hier auf der Erde bereits nahe zu sein, seine Liebe und Güte zu spüren – aber vor allem, wenn unser Leben zu Ende geht. Ankommen. Im Himmel. In der Ewigkeit. Zu Hause. Eben nicht nur umziehen, sondern ankommen. Gerade war Weihnachten. Jesus’ Geburtstag. Advent ist die besondere Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Es geht im besten Fall darum, das Ankommen des Festes und die Freude auf die Geburt Jesu zu feiern. Und dann kam er an. Vor über 2000 Jahren: Jesus. Als kleines Baby. Versorgt und geliebt. Als Mensch und als Sohn Gottes. Hirten und Könige kamen, um das Ankommen des Messias zu feiern. Was eine ausgefallene Babyparty!
Weisst du – für den einen bedeutet Ankommen, sich in einer sicheren Umgebung zu fühlen, und für den anderen, sich intensiv selbst in seiner eigenen Mitte zu spüren. Eigentlich ist es egal, wo du dein Angekommensein fühlst. Hauptsache, du hast diesen Ort, diese Person, diese eine Sache. Ich wünsche dir, dass du das warme Gefühl kennenlernst oder verinnerlichst – tief in deinem Herzen. Mach dich auf die Suche, es lohnt sich.
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