«Gott gab mir ein Kämpferherz!»

Reto Müller
Reto Müller aus Dulliken war Leistungssportler. Zugleich litt er jahrelang unter den Folgen eines Schleudertraumas. Nach etlichen Therapien fand er endlich eine, die ihn von seinen Schmerzen befreite. Heute unterrichtet er sie als Personaltrainer.

«Mein Vater hat mich früh mit seiner Begeisterung für Tischtennis angesteckt», erzählt Reto Müller, 49. Die Eltern wollen damals nicht, dass ihr Junge schon mit sechs Jahren einem Verein beitritt. Als Elfjähriger wird er ohne ihr Einverständnis Mitglied des TTC Olten, trainiert ab 14 Jahren täglich. Während seiner Lehre zum Polygrafen erleidet Reto bei einem schweren Velounfall ein Schleudertrauma. Der 16-Jährige bekommt einen Kragen verpasst und geht weiter zur Arbeit. Seinen Kopf kann er nicht mehr ganz wenden, Schmerzen werden seine steten Begleiter. Den Sport setzt er fort, weil die bessere Durchblutung während des Wettkampfs die Schmerzen lindert und er abgelenkt ist. Reto unternimmt alles, um schmerzfrei zu werden. Es folgt eine Odyssee von Therapie zu Therapie...

Nichts hilft

Er versucht es mit Physiotherapie, Osteopathie, Kinesiologie, Akupunktur und Akupressur, Feldenkrais, Alexander-Technik, besucht Chiro- und Heilpraktiker und lässt sich in eine Rehaklinik überweisen. Nichts hilft. Der Zusammenhang zwischen Unfall und Schleudertrauma wird ihm von verschiedenen Ärzten bestätigt, die körperlichen und seelischen Qualen sind zermürbend. Die Unfallversicherung verlangt eine Untersuchung beim Vertrauensarzt. Und dieser stempelt Reto als Simulant ab. Auch ein Anwalt erreicht nicht, dass Reto wenigstens die Heilungskosten erstattet werden. Die Ärzte können nicht einordnen, dass er weiterhin als Leistungssportler arbeitet. So bildet er sich beruflich weiter, obwohl er ständig unter Schmerzen leidet.

Gottes Kraft wie ein Blitz

1999 lädt Andreas Belz, ein Tischtennis-Kollege von Reto, diesen zu den Veranstaltungen einer christlichen Sportlerorganisation ein. Hier erlebt Reto, wie Leistungssportler einander ermutigen, füreinander beten und sich bei Erfolgen miteinander freuen.

Reto gründet eine WG mit Andreas und stellt fest, dass sein Kollege mit gewissen Situationen anders umgeht: «Er strahlte Ruhe und Gelassenheit aus.» Reto fährt fort: «Ich bin katholisch aufgewachsen und war froh, die Kirche nicht mehr betreten zu müssen.» Mit 27 Jahren hat er einen Traum. «Ich spürte Gottes Kraft. Sie schlug ein wie ein Blitz und warf mich zu Boden.» Als Reto erwacht, empfindet er grosse Ehrfurcht und Klarheit. Er vertraut sich Andreas an und lädt Jesus in sein Leben ein. Später schliesst er sich einer Freikirche an.

Stechender Schmerz

Während seiner Tätigkeit als Werbeassistent realisiert Reto, dass stundenlanges Sitzen seine Beschwerden verstärkt. Er sucht nach einer Lösung und absolviert die Ausbildung als Spezialist für Bewegungs- und Gesundheitsförderung. Noch vor seinem 30. Geburtstag heiratet Reto, steht kurz davor, in die Nationalliga A aufzusteigen. Da durchzuckt ihn während eines Tischtennisspiels ein stechender Schmerz, der untere Rücken ist blockiert. Reto verliert seinen Job als Fitnesstrainer, obwohl er krankgeschrieben und die Kündigung widerrechtlich ist. Er erinnert sich: «Das war sehr hart. Von einem Fitnesstrainer wird erwartet, dass er immer fit und gut gelaunt ist…»

Mutig in den Schmerz hinein

Von 2003 bis 2006 kümmert sich Reto als Tischtennistrainer und -experte um die Kondition der Nationalmannschaft Swiss Table Tennis (STT), bildet sich 2005 zum Trainer Leistungssport und Konditionstrainer Swiss Olympic aus. Im gleichen Jahr lernt er Walter Packi kennen. Der Ansatz des Trainers für biokinematische Schmerztherapie ist ein anderer. Anstatt sich zu schonen, leitet Packi an, wie man sich in den Schmerz hineinbegibt. «Als ich den Patienten vor mir während des Trainings laut schreien hörte, musste ich mir sehr gut überlegen, ob ich das wirklich will», gesteht Reto und fügt kühn an: «Gott gab mir ein Kämpferherz!»

Er lässt sich erfolgreich darauf ein, seine Muskeln maximal zu dehnen. Nach und nach lösen sich die Verspannungen. Heute ist Reto fast schmerzfrei. Er hat sich erneut weitergebildet und arbeitet als selbstständiger Konditions-, Personal- und Biokinematik-Trainer. «Sitzen ist Gift für den Köper», stellt der Experte klar. Er empfiehlt ein Stehpult und eine hochelastische Stehmatte, auf der man ständig das Gleichgewicht halten muss. «Man kann sehr viel in den Alltag integrieren, zum Beispiel auf einem Bein stehend die Zähne putzen», erklärt Reto.

Burnout und Ehe-Aus

Mit 32 ist Reto praktisch schmerzfrei und kann wieder ein normales Leben führen. Drei Jahre hatte er täglich mit hexenschussartigen Schmerzen als Fitnesstrainer gearbeitet und Kunden motiviert, obschon er sich selbst kaum mehr bewegen konnte. Das Ganze sei sehr kräfteraubend und psychisch belastend gewesen, sagt Reto. «Glücklicherweise habe ich Energie für drei, so merkte niemand, dass ich längst nicht mehr so fit war wie zuvor», wirft der Sportbegeisterte ein. Doch irgendwann geht gar nichts mehr. In einem Trainingslager erwacht Reto schweissgebadet und zitternd. Die Diagnose: Burnout. «Ich verstand die Welt nicht mehr! Ich konnte alles wieder machen und hätte der glücklichste Mensch sein sollen – und jetzt das!» Seine Erkrankung belastet die Ehe zunehmend, 2010 trennt sich seine Frau von ihm. Zwei Jahre später sind die beiden geschieden.

Begeisterter Botschafter

Sport ist nach wie vor Reto Müllers grosse Leidenschaft. Er macht Krafttraining, wandert, schwimmt und joggt, spielt Tennis und Tischtennis, surft und fährt im Winter Ski. Während eines Windsurf-Camps lernt er Hanna kennen. Seit 2018 sind die beiden verheiratet. Für Reto ist es ein Geschenk Gottes, dass er nun doch nicht allein durchs Leben gehen muss. Die sportliche Davoserin unternimmt mit ihm zusammen gern Wanderungen oder andere Aktivitäten.

Retos Ziel ist es nun, die Biokinematik vielen Menschen zugänglich zu machen: «Diese Therapieform bietet einen erfolgversprechenden Weg, hartnäckigen Schmerzen (Rücken-, Nacken-, Fersensporn-, Mausarm-, Tennisellenbogen-, Knie- und Hüftprobleme) bei diszipliniertem Training vorzubeugen und sie im besten Fall gar zu eliminieren. Ich bin das beste Beispiel dafür!»

Zum Thema:
Den Glauben entdecken
Dossier Sport und Glaube
Jenseits der Medaillen: Der Mensch hinter dem Sportler

Autor: Mirjam Fisch
Quelle: Jesus.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung