Sänger und Poet

Gereifter Gottsucher: Bob Dylan wurde 80

Bob Dylan feierte am 24. Mai seinen 80. Geburtstag. Der Glaube und die Suche nach Gott begleiteten ihn und sein Werk bis heute.
Bob Dylan (Bild: www.goldenplec.com)

Tiefsinnig wie kein anderer Superstar baute Bob Dylan biblische Geschichten und Glaubensthemen in seine Songs ein. Sogar der Papst predigte über einen Song, deutete «Blowin' In The Wind» als Lied über den Heiligen Geist. 1979, während einer Lebenskrise, suchte der Musiker jüdischer Abstammung Zuflucht bei der Vineyard-Church. Viele Fans waren verblüfft. Dass sich die Zeiten ändern würden, sangen sie lauthals mit («The Times They Are a-Changing»). Aber dass sich ihr freiheitsliebendes Idol nun so intensiv dem Glauben zuwandte und nur noch Gospels sang, konnten nur wenige nachvollziehen.

Nach zwei Jahren wandte sich Dylan wieder von der Kirche ab. Bereut hat er diese «Gospel-Jahre» nie. Sein christlicher Glaube wirkt seitdem gereifter. Hatte er die Menschen dazu aufgefordert, sich zwischen Gott und dem Teufel zu entscheiden, fühlte er sich nun von der «Hand des Meisters» geführt, der jedes Haar auf seinem Kopf gezählt habe («Every Grain of Sand»). Vielleicht bestand seine Lehre aus den «Gospel-Jahren» darin: Authentische Spiritualität hat nicht unbedingt etwas mit Bekenntnislust und -drang zu tun, im Gegenteil: Der Glaube verliert desto mehr an Tiefe und Weltbezug, je missionarischer und triumphalistischer er auftritt.

In einem seiner letzten Interviews sagte er: «Glaube hat keinen Namen und keine Kategorie. Er ist schräg. Er ist unaussprechlich. Wir degradieren den Glauben, wenn wir über Religion reden.» Mit solchen Sätzen trifft sich die Erkenntnis des lebenserfahrenen Poeten und Literaturnobelpreisträgers erstaunlicherweise mit Erkenntnissen von Theologen. Zum Beispiel mit der von Dietrich Bonhoeffer, der sagte: «Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion auf, sondern zum Glauben!»

Dylan packt die Schatzkiste aus

Dylans aktuelles Studioalbum «Rough and Rowdy Ways» («Raue und laute Wege») geniesst in den Feuilletons den Status eines Meisterwerks. Dies ist es auch in religiöser Hinsicht. Dylan greift tief in seine diversen Schatzkisten – holt Zitate aus Musik und Literatur heraus, vermischt sie mit seinen Lebenserfahrungen und Visionen, mit seinem Glauben und seinem Zweifel. Das Album spiegelt auch eine Altersspiritualität wider, die keine Abgrenzung braucht, in der sich vielmehr das tiefe Wissen um eine höhere Macht ausdrückt. «I Contain Multitudes» – «In mir leben Viele» heisst ein Song vielsagend. Wer das ganze Album hört, merkt: Auch in religiöser Hinsicht sind Dylan viele unterschiedliche Wege vertraut, Gott zu suchen.

Auf seinem Album packt er zahlreiche seiner Erinnerungen aus: an jene Menschen, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet haben. Namentlich nennt er viele Musikerinnen und Musiker, von Jimmy Rodgers über Elvis Presley bis zu den Eagles; Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte: John F. Kennedy, Baptistenpfarrer Martin Luther King.

Zu den Schätzen in Dylans Leben gehört auch die «old time religion». Sie sei das Einzige, was er brauche, singt er im Song «Goodbye Jimmy Reed», mit dem er den amerikanischen Blues-Gitarristen und Mundharmonikaspieler würdigt. «Schlag die Bibel auf, verkünde das Glaubensbekenntnis», fügt er hinzu und zitiert den Lobpreis, der das Vaterunser beschliesst: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.»

«Entschlossen, mich dir hinzugeben»

«Es ist Gott allein, der dir Freiheit schenkt, und die Tage, um die man sich am meisten kümmern sollte, heissen 'Heute' und 'Morgen'», hatte er schon 1990 einem Journalisten erklärt. 1997, nach einer schweren Herzbeutelentzündung, hatte er zugegeben, angesichts der Krankheit «sehr ernst nachzudenken».

Und nun entführt er seine Hörerinnen und Hörer mit dem wundervoll entspannt klingenden Lied «I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You» auf seine Terrasse, wo er unter dem Sternenhimmel sitzt und bei «den Klängen trauriger Gitarren» über alles wieder und wieder nachdenkt.

Während er mit alter weicher Stimme sentimental sinniert, summt im Hintergrund ein Chor die Melodie der «Barcarole» aus der Oper «Hoffmanns Erzählungen» von Jacques Offenbach. Dylans Fazit am Ende fast aller Strophen: «I’ve made up my mind to give myself to you» – «Ich habe mich entschlossen, mich dir hinzugeben». «Wenn ich die Flügel einer schneeweissen Taube hätte, würde ich das Evangelium predigen, das Evangelium der Liebe», sinniert er. Beim Blick zurück bekennt er, dass er «den langen Weg der Verzweiflung gegangen» sei, und erzählt, wie sehr er darunter leide, dass viele Menschen, die er kannte, bereits gestorben sind. «Ich hoffe, dass die Götter es mir leicht machen», singt Dylan und beteuert, bereit zu sein für den Tod. «Ich habe mich entschlossen, mich dir hinzugeben.»

Am Ende getröstet

Wem? Das lässt sich nur vermuten. Einen «reisenden Mann» spricht Dylan an: «Zeige mir etwas, das ich verstehen werde.» Gut möglich, dass er Jesus meint, den er früher schon als Reisenden beschrieben hat. Am Ende sagt er diesem Mann: «Wir sehen uns bei Sonnenaufgang – wir sehen uns im Morgengrauen. Ich werde mich neben dich legen, wenn alle weg sind.» Ein eigentümliches Bild der Nähe beim «Sonnenaufgang»: Blickt Dylan, der so facettenreich den Frieden besungen hat, voraus auf den «Shalom», den grossen Frieden am Ende unserer Reise?

Ob diese Interpretation stimmt? Dylan ist weise genug, viele Deutungen zuzulassen. Es ist nicht nur eine Selbstbeschreibung, sondern vielleicht auch eine Botschaft an seine Hörerinnen und Hörer: Sucht Gott auf euren eigenen Wegen. Lebt eigensinnig: Bleibt euch darin treu, dass ihr an euren Fragen dranbleibt – durch alle Veränderungen hindurch. Und fühlt euch entlastet: Ihr müsst euch nicht festlegen lassen – erst recht nicht, wenn es um so wesentliche Fragen wie den Glauben geht. Und am Ende werdet ihr getröstet.

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Datum: 27.05.2021
Autor: Uwe Birnstein
Quelle: PRO Medienmagazin

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