Die islamischen Ansprüche sind stark politisch motiviert
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan entwickelt sich zum politischen Hauptnutzniesser der neuen Jerusalemkrise. Er hat wegen Präsident Trumps Anerkennung der auch für Christen und Muslime heiligen Stätte als Israels Hauptstadt eine Islamische Weltkonferenz in Istanbul veranstaltet. Diese erklärte nun im Gegenzug Ostjerusalem zur Hauptstadt von Arabisch-Palästina. Immerhin waren die Türken über 400 Jahre lang für die Heilige Stadt zuständig: bis zum Frieden von Lausanne 1923. Wenn Erdogan jetzt ganz massiv dessen Revision fordert, geht es ihm nicht nur um Zypern oder neue Grenzen zu Griechenland: Er will auch in Jerusalem wieder mitreden.
Die Legende von Mohammeds Himmelfahrt
Jerusalems Rolle als dritte heilige Stadt des Islams nach Mekka und Medina ist religiös eher schwach begründet. Im Koran kommt die Stadt noch gar nicht vor. Erst nach Jerusalems Eroberung und der Verschiebung des arabischen Reichszentrums von Mekka nach Damaskus Mitte des 7. Jh. wurde die heilige Stadt der Juden und Christen auch islamisch aufgewertet. Das umso mehr, als Mekka vorübergehend in der Hand eines Gegenkalifen verblieb. Nun entstand eine reiche theologische Literatur zur Bedeutung von Jerusalem samt der Legende von Mohammeds Himmelfahrt aus dem Felsendom in Jerusalem.
Jüdische Einwanderung heizt islamische Ansprüche an
Der Verlust an die Kreuzfahrer rückte Jerusalem dann vom späten 11. bis ins 13. Jh. erst recht in den Blickpunkt der gesamten islamischen Welt. Dasselbe war wieder in unserer Zeit ab dem Ersten Weltkrieg der Fall. Die jüdische Einwanderung und 70 Jahre Palästinakonflikt mit Israel haben Jerusalem emotional an die erste Stelle für alle Muslime gerückt.
Christliche Hadsch nach Jerusalem
Auch während der langen türkischen Herrschaft im Heiligen Land ab 1517 war die Muslim-Wallfahrt nach Jerusalem bis zum Bau der Medina-Bahn in der vorletzten Jahrhundertwende praktisch bedeutsamer als der «Hadsch» ins ferne Mekka. Parallel dazu entwickelte sich aus allen Reichsteilen der osmanischen Türkei bis zum Balkan und in die heutige Ukraine ein christlicher Pilgerstrom nach Jerusalem. Wer dort gewesen und im Jordan erneut getauft war, bezeichnete sich ebenfalls wie die Muslime als «Hadschi». Das ist heute noch an vielen griechischen und bulgarischen Familiennamen ersichtlich, die mit Hadschi... beginnen.
Russland strebt nach Jerusalem
Aus der Ukraine übernahm bald auch das orthodoxe Russland die Wallfahrtsehnsucht nach Jerusalem. Die letzten Zaren machten diese zu einem Angelpunkt ihrer Orientpolitik. Für diesen Zweck gründeten sie die «Kaiserliche Palästina-Gesellschaft» mit Niederlassungen im ganzen Nahen Osten, in Istanbul und auf dem Berg Athos. Vladimir Putin hat diese Organisation neu errichtet. Er bewegt sich schon seit seiner Intervention im syrischen Bürgerkrieg wieder ganz auf den Spuren zaristischer Expansionspolitik.
Armenier, Kopten, Äthiopier ...
Bei den orientalischen Christen hat Jerusalem vor allem für Armenier, Kopten und Äthiopier grösste Bedeutung. Seit dem Mittelalter gibt es in der Heiligen Stadt neben dem Jüdischen, Muslimischen und Christlichen noch ein Armenisches Viertel. Kopten und Äthiopier müssen sich mit dem Dach der Grabeskirche begnügen. Umso heftiger ist die koptische Ablehnung jeder israelischen Herrschaft über die heiligen christlichen Stätten. In Kairo weigerte sich Patriarch Tawadros II. nach der Trump-Erklärung, auf Weihachten wie geplant den amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence zu empfangen. Die christlichen Äthiopier betrachten sich überhaupt als die wahren Herren von Jerusalem, da sie ihren Ursprung bis auf König Salonon aus einer Verbindung mit der Königin von Saba zurückführen.
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Datum: 15.12.2017
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet