Thomas – nicht so ungläubig wie sein Ruf
Was uns beim Nachdenken über Thomas sofort einfällt, sind Fakten wie sein Name, dass er ein Jünger von Jesus war, ein Zweifler und scheinbar der Verfasser des Thomas-Evangeliums. Armer Thomas! Du bist in Schubladen gefangen, aus denen du kaum herauskommst. Von den obigen Aussagen stimmt jedenfalls nur eine sicher: Thomas war als Jünger zusammen mit Jesus unterwegs. Das Thomas-Evangelium wurde viel später unter seinem Namen verfasst, um den Apostel zu ehren. Der Name Thomas ist eigentlich nur ein Beiname und bedeutet Zwilling. Laut Überlieferung hiess er wohl Judas. Und besonders zweifelnd war er auch nicht… Was sagt die Bibel nun konkret über Thomas?
Nähe, die etwas kostet
«Thomas, den man auch den Zwilling nannte, sagte zu den anderen Jüngern: 'Ja, lasst uns mit Jesus nach Judäa gehen und dort mit ihm sterben.'» (Johannesevangelium, Kapitel 11, Verse 14-16) Gerade hat man Jesus als Gotteslästerer bezeichnet und wollte ihn steinigen. Und jetzt schlägt er seinen Jüngern vor, in genau diese «Höhle des Löwen» zurückzugehen, um Lazarus einen Krankenbesuch abzustatten. Während die anderen Jünger überlegen, ob es nicht reichen würde, Lazarus eine Karte zu schreiben, überwiegt bei Thomas eine Art fatalistische Treue. Er weiss, dass sie schlechte Aussichten haben, wenn sie sich auf den Weg machen. Trotzdem will er bei Jesus bleiben, mit ihm gehen. Und wenn es ihn das Leben kostet.
Jeder Mensch macht irgendwann die Erfahrung, dass ihn die Nähe zu einer Person die Nähe zur anderen kosten kann. Manchmal muss man sich entscheiden. «Everybody's Darling» können wir sowieso nicht sein. Und Thomas zeigt uns hier, was ihm die Nähe zu Jesus bedeutet. Im Zweifelsfall rückt er näher an ihn heran.
Nähe, die Perspektive hat
Jesus sagt: «'Wohin ich aber gehe, wisst ihr, und ihr kennt den Weg'. Thomas spricht zu ihm: 'Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg kennen?'» (Johannesevangelium 14, Verse 2-6)
Jesus zieht in Begleitung seiner Jünger nach Jerusalem ein. Jubel und Unglaube liegen dabei eng beieinander. Dann kündigt Jesus an, dass man ihn verraten wird und erzählt von der Zukunft. Elf Jünger stehen daneben und nicken interessiert. Einer ruft: «Stopp, das versteh ich nicht.» – Thomas. Halbe Sachen sind nicht sein Ding. Thomas ist jemand, der sich zu Wort meldet, seine Fragen stellt und sich damit zum Sprecher der anderen macht. Mit Teilinformationen und Vermutungen kann er nur schlecht umgehen, er will Klarheit.
Wahrscheinlich kennt jeder von uns solche Fragenden wie Thomas. Manchmal formulieren sie sehr hilfreich die Fragen, die sowieso alle haben. Und manchmal nerven sie, weil sie den Ablauf im Hauskreis, in der Familie oder in der Gemeinde stören, weil sie etwas bis zum Ende durchdenken möchten, ehe sie damit einverstanden sind. Übrigens: Im Gegensatz zu uns lässt sich Jesus durch solche Fragen nicht aus der Ruhe bringen. Jesus hält unsere Fragen genauso aus wie die von Thomas – und gibt uns damit die Perspektive, die wir brauchen.
Nähe, die erfahrbar ist
«Die anderen erzählten ihm: 'Wir haben den Herrn gesehen!' Thomas erwiderte: 'Erst muss ich seine von den Nägeln durchbohrten Hände sehen; ich muss meinen Finger auf die durchbohrten Stellen und meine Hand in seine durchbohrte Seite legen. Vorher glaube ich es nicht'» (Johannesevangelium, Kapitel 20, Verse 24-29)
Jesus ist gestorben und auferstanden. Alle Jünger sehen ihn – bis auf Thomas. Und der ist mit der Erzählung davon, mit einem Second-Hand-Glauben, nicht zufrieden. Vielleicht hält er sogar für wahr, was die anderen Jünger berichten, aber er weiss: Glaube ist mehr. Thomas sucht das eigene Erleben, die eigene tiefe Erfahrung der Nähe Gottes. Und Jesus gibt sie ihm. Als er Thomas schliesslich begegnet, bietet er ihm an, ihn zu begreifen. Und Thomas begreift – wahrscheinlich sogar, ohne Jesus dabei anzufassen. Und dieses Begreifen mündet in den Höhepunkt des Johannesevangeliums, das Bekenntnis: «Mein Herr und mein Gott!» (Vers 28)
Viele von uns wünschen sich eine Art Thomas-Erfahrung. Eine besondere Offenbarung Gottes, die uns Unsicherheit und Zweifel wegnimmt. Dabei macht sich Gott bis heute immer wieder «begreifbar», nicht zuletzt in handfesten Zeichen wie dem Abendmahl. Verfügbar oder fassbar macht er sich allerdings nie.
Sehnsucht nach Gottes Nähe
Ja, Thomas zweifelt. Doch er ist kein Zweifler. Er ist niemand, der sich beim dauernden Hinterfragen gefällt. Vielmehr ist er ein Nachfolger von Jesus, der immer wieder die Nähe seines Herrn sucht. Danach sehnt er sich. Unser Fatalismus, unsere Fragen und unser Zweifeln bringen Jesus nicht aus dem Konzept. So wie bei Thomas sieht Jesus auch bei uns, wenn sie Ausdruck unserer Sehnsucht nach ihm sind. Und dieser Sehnsucht begegnet Jesus heute noch durch seine Nähe.
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