Gestorben: Jimmy Carter – konservativer Christ mit sozialer Agenda
Jimmy Carter war der am längsten lebende Präsident der USA. Bis in seine letzten Lebensjahre unterrichtete er Sonntagsschulen und Bibelstunden und engagierte sich ehrenamtlich bei «Habitat for Humanity» in seinem Heimatstaat Georgia. «Jimmy Carter war ein theologisch konservativer Christ mit einem liberalen politischen Programm. Diese Widersprüche, die seine Politik lähmten, «machten Carter zu einer der faszinierendsten evangelikalen Persönlichkeiten der Neuzeit», schreibt «Christianity Today» in einem Nachruf, aus dem wir wichtige Teile wiedergeben.
Glaube im Playboy
1976 druckte der «Playboy» ein berüchtigtes Interview mit Carter, dem damaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, mit dem er sich – typisch für ihn – zwischen alle Stühle setzte. Diejenigen, die das Interview tatsächlich lasen, konnten Carters Frömmigkeit leicht erkennen. Säkulare Leser machten sich über sein Bekenntnis zum «Ehebruch in meinem Herzen» lustig und charakterisierten ihn als «Hinterwäldler-Baptisten mit einer Hotline zu Gott». Konservative Christen (die nicht zugeben wollten, das Interview im Playboy gelesen zu haben) schimpften über das Interview; jemand mit dem moralischen Charakter, die Vereinigten Staaten zu führen, hätte dem anzüglichen Magazin gar nicht erst ein Interview gegeben.
Tatsächlich hätte das Interview Carter beinahe die Wahl gekostet. Vier Jahre später, immer noch zwischen zwei Welten gefangen, verlor er die Wiederwahl. Sein Versuch, sich zu Jesus zu bekennen und doch eine soziale Politik zu machen, scheiterte am ehernen «Entweder-Oder» des amerikanischen Systems.
Evangelistischer Evangelikaler
Carter verbrachte seine Kindheit mit dem Versuch, nicht zu fluchen. Er besuchte eine Gemeinde der Southern Baptists, wo er wiedergeboren wurde und später sein Leben Christus noch einmal neu übergab. Als junger Erwachsener unternahm er Missionsreisen nach Pennsylvania und Massachusetts. Später, als Präsident, legte Carter vor ausländischen Staatsoberhäuptern Zeugnis ab und forderte sie auf, «Jesus Christus als persönlichen Retter anzunehmen». Er pflegte eine warme evangelikale Frömmigkeit, einen starken Bekehrungswillen und den Glauben an die Trennung von Kirche und Staat.
Bei einer Grossevangelisation in Atlanta 1973 sass er – mittlerweile Gouverneur – auf Billy Grahams Podium und legte häufig Zeugnis von seinem Glauben ab: «Ich bin ein Erdnussfarmer und ein Christ. Ich bin ein Vater und ein Christ. Ich bin ein Geschäftsmann und ein Christ. Ich bin ein Politiker und ein Christ. Der wichtigste Faktor in meinem eigenen Leben ist Jesus Christus».
So wurde er Präsident
Wenn auch seine soziale Politik, die im US-System als «liberal» galt, bei vielen für Stirnrunzeln sorgte, waren doch 1976 die meisten Evangelikalen einfach begeistert, dass ein offener, wiedergeborener Gläubiger für das Präsidentenamt kandidierte. Evangelikale, die noch nie gewählt hatten, stimmten für Carter. Sobald er die Nominierung der Demokraten erhalten hatte, wurden in evangelikalen Zeitschriften und Zeitungen Lobeshymnen auf ihn veröffentlicht – bis hin zu dem populären Plakat, das Carter mit langem, wallendem Haar und in biblischem Gewand zeigte, mit der Überschrift «J.C. kann Amerika retten». Jimmy Carter als politischer Stellvertreter für Jesus Christus selbst...
Der Spagat klappt nicht
Nachdem Carter 1976 eine breite Unterstützung der Evangelikalen genossen hatte, ohne systematisch für sie geworben zu haben, versäumte er es als Präsident, seine offensichtlichste religiöse Wählerschaft zu pflegen. Evangelikale Kritiker bemerkten, dass Carter es versäumte, Gottesdienste im Weissen Haus abzuhalten oder religiöse Konservative in wichtige Führungspositionen zu berufen.
Vor allem ärgerten sie sich darüber, wie sehr Carter einer Demokratischen Partei verhaftet schien, die sich kulturell nach links bewegte, insbesondere in der Abtreibungsfrage. Abtreibung war bis Mitte der 1970er Jahre kein dominierendes evangelikales Thema. Persönlich war Carter gegen die Abtreibung, setzte das aber politisch nicht durch. Diese Zweideutigkeit in der Abtreibungsfrage verärgerte auch zunehmend die politische Linke. Am Ende stand er in vielen Fragen zwischen zwei divergierenden Wählergruppen: Gebet in der Schule, Besteuerung von Privatschulen und Gleichberechtigungsgesetz. Viele evangelikale Führer zogen ihre Unterstützung für Carter verbittert zurück. Bis 1980 waren grosse Teile seiner evangelikalen Wählerschaft zu Ronald Reagan übergelaufen, einem geschiedenen und wieder verheirateten Hollywood-Schauspieler.
Aussenpolitische Erfolge
Carter verliess das Weisse Haus mit dem Ruf, ein wohlmeinender, aber letztlich ineffektiver Mikromanager zu sein. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler jedoch seine beeindruckenden Bemühungen um die Aushandlung des Camp-David-Abkommens zwischen Ägypten und Israel, die Rückgabe des Panamakanals an Panama, die Aushandlung von Atomwaffenbeschränkungen mit der Sowjetunion und den Einsatz für die Menschenrechte in Rhodesien, Uganda und vielen lateinamerikanischen Ländern hervorgehoben.
Carter zeigte als Präsident die Bandbreite der evangelikalen Bewegung auf. Für die, die davon überzeugt sind, dass eine konservative Theologie eine konservative Politik erfordert, zeigte der ehemalige Präsident, dass Evangelikale manchmal gemässigte und progressive Ansichten zu Bürgerrechten, Umwelt und Gleichberechtigung vertreten. Carters politische Karriere zeigte aber auch deutliche Grenzen auf. Der progressive Evangelikale erreichte zwar das höchste Amt der USA, aber er wurde im Stich gelassen, als die Gegenreaktionen seiner eigenen Leute seine Präsidentschaft lähmten und eine mögliche zweite Amtszeit sabotierten.
Präsidentschaft nur ein Sprungbrett
Seine Karriere nach der Präsidentschaft bewirkte Grosses. Einer seiner besten Freunde erklärte: «Jimmy Carter ist die einzige Person in der Geschichte, für die die Präsidentschaft ein Sprungbrett war» – ein Sprungbrett zu rastlosem humanitärem Engagement.
Carter engagierte sich für Habitat for Humanity, einer weltweit tätigen Organisation, die auch armen Menschen den Besitz eines Hauses ermöglicht. Das Carter Center, das er kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt gründete, bemüht sich um die Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, die Ausrottung von Krankheiten und die Versöhnung von Kriegsparteien in Haiti, Guyana, Äthiopien, Korea und Serbien. Für seine Bemühungen wurde er 2002 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
In Erinnerung bleibt das sympathische Bild eines alten Mannes, der im ländlichen Georgia Nägel hämmerte und bis ins hohe Alter in der Sonntagsschule unterrichtete – der Segen eines langen Abschieds von einem bemerkenswerten Leben.
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